Online-Gschichtl Nr. 92

Karl Muzatko, der Häferlflicker von Wasenbruck - Teil 3

Im dritten und letzten Teil zu Karl Muzatko berichtet Johann Amsis diesmal über die Berufstätigkeit des „Häferlflickers“ und seiner Frau.

 

Als die Wehrmacht 1945 abgezogen war, hatte sie noch die Brücken bei der seichten und bei der tiefen Leitha gesprengt. Die Besatzung eines Werkstattwagens wusste nicht, dass die Brücke gesprengt und die Straße zwischen dem Wiesengraben und der seichten Leitha vermint war. Bei der leichten Kurve in der Mitte der Straße sind sie auf so eine Miene aufgefahren. Das verunglückte Fahrzeug stand dann einige Zeit, auch als die Russen schon längst da waren, unberührt auf der Straße. Karl Muzatko wurde nun mutig und hat sich entschlossen, dieses Fahrzeug „zu plündern“, um an Werkzeug für seine Spenglertätigkeit zu kommen. So ist er, eine Notbrücke war ja schon vorhanden, mit einem Leiterwagen bis zum Fahrzeug vorgestoßen. Mit großen Augen wurde das Wagerl von Karl so schwer beladen, dass er es nur mit Müh und Not bewegen konnte. Die Russen hatten ihm amüsiert zugeschaut, unternahmen aber nichts. Als der Leiterwagen hängen blieb, wollte er diesen mit einem kräftigen Ruck wieder losreißen. Da hat sich seine Beinprothese gelöst, ist im weiten Bogen davongeflogen und die Russen sind in schallendes Gelächter verfallen. Wenn nicht ihr Kommandant dabei gewesen wäre, hätten sie Karl sogar schieben geholfen. Er hat das Wagerl dann doch bis nach Hause gebracht, den damals erbeuteten Schraubstock und einige Gabel- und Ringschlüssel gibt es heute noch im Werkzeugkasten von Sohn Karli.

Auf dem Platz, wo heute das Wasserhaus steht, war im Krieg eine Flakstellung mit drei Kanonen bzw. Scheinwerfern aufgebaut. Als die deutschen Truppen weg waren und man sich an die Russen etwas gewöhnt hatte, sind die Buben auf der Flakstellung Ringelspiel gefahren. Kurt Lima („Lima Busi“) war schon in Kindertagen stark an Technik interessiert. So hat er die Kanone der Flakstellung genauer begutachtet, den Auslösemechanismus gefunden und zum Spaß ausgelöst. In der Kanone war aber doch noch eine Ladung und die war nun abgeschossen worden. Vor Schreck sind die Buben schnell weggelaufen, denn die russischen Besatzungssoldaten waren schon herbeigeeilt. Es war noch einmal gut gegangen und die Russen sind nicht daraufgekommen, wer geschossen hatte.

1947 kam Karls Bruder Franzl vom Krieg zurück und half beim wandernden Spenglergewerbe mit. Er fuhr in die umliegenden Orte und sammelte die beschädigten Häferl und Reindl ein. Das damalige Geschirr bestand Großteils aus emailliertem Blech, das war praktisch und konnte direkt auf den Holzofen gestellt werden – das Porzellan wurde nur an Sonn- und Feiertagen hervorgeholt. So passierte es halt, dass man mit dem Blechhäferl wo „autitscht hod“ und die Emailbeschichtung abgesprungen ist. Mit der Zeit rostete dort das Häferl oder Reindl durch und so kam der Spengler und Rastelbinder ins Spiel, der dieses Loch wieder zulöten sollte. So erhielt Karl Muzatko wegen seiner Tätigkeit den Spitznamen „Häferlflicker“. Eine Zeit ging das ja gut, Franzl sammelte das Geschirr ein, Karl lötete es und Franzl, brachte es wieder zurück und kassierte. Letzteres war aber ein Fehler, denn Franzl ging mit dem Geld ins Wirtshaus, wo er alles versoffen hat. So war die Geschäftsbeziehung der beiden Brüder bald erledigt.

Elisabeth Muzatko, Karls Frau, hatte in der kleinen Arbeitersiedlung Wasenbruck längst ihre Heimat und eine Arbeit in der örtlichen Textilindustrie gefunden. Wie viele Frauen ihrer Generation konnte auch sie mit ihrem Verdienst zum gemeinsamen Familieneinkommen beitragen. Die einzige Abwechslung nach der harten Arbeitswoche waren da die sonntäglichen Ausflüge zum Neusiedlersee, ins Leithagebirge bzw. in die Gebirgswelt des Rax-Schneeberg-Gebietes, von denen Elisabeth noch im Alter mit Begeisterung erzählte. Aus der 1936 mit Karl Muzatko geschlossen, nicht immer einfachen Ehe entstammten vier Kinder, von denen eines im Säuglingsalter verstarb (Helmut) und ein zweites mit einer geistigen Behinderung zur Welt kam (Hermann). Elisabeth meisterte auch diese schwierige Situation und betreute ihren Sohn Hermann bis dieser 1971 mit nur 21 Jahren verstarb. Elisabeth war sicherlich kein Mensch, der sich in den Mittelpunkt rückte oder in den Vordergrund drängte – so war sie auf ihre Art der ruhende Pol in ihrer Familie. Nie sah man sie grantig, immer hatte sie ein Lächeln auf den Lippen und immer stand ihr Haus für andere offen. Egal wenn man kam und wer kam, es gab immer eine Tasse Tee oder Kaffee, ein Gespräch, eine Plauderei – es wurde Zeit geschenkt. Die „Gartenrunden“, also der Gang durch ihren herrlich verwilderten Garten, bei dem sie voller Stolz ihre Gartenkünste präsentierte, sind legendär. Wie Helga Tiehl meinte: „Die Lisitant hod an grünen Daumen kobt, waun de ah Besnstangl eigsetzt hod, hod des ah noh austriem“.

Karl Muzatko hatte als Kriegsinvalide ja nur ein Bein, das störte ihn aber nicht, auf die höchsten Dächer zu klettern, um Dachrinnen und Verblechungen zu montieren. Wenn er mit seiner Beinprothese am Dach herum kletterte und das Holzbein in störte, hat er es ausgezogen und mit einem Strick am Rauchfang oder dergleichen angebunden. Sein Firmenfahrzeug war immer ein Moped, eine Lohner „Sissy“ oder eine KTM „Pony“. An der Maschine hat er einen Zweiradanhänger (genannt Jeep) angehängt, auf dem er das Werkzeuge und die Arbeitsmaterialien auflud. Eines Tages ist er Richtung Reisenberg gefahren, als ihm auf der Brücke auf der falschen Straßenseite ein LKW entgegengekommen ist. Karl hat das Moped verrissen, ist mit diesem genau zwischen dem Geländer der Brücke und dem Telefonmasten durchgefahren und in der Tiefen Leitha gelandet. Das Moped und der Anhänger sind im Schlamm des Flusses stecken geblieben und nicht einmal umgefallen. Zum Bergen des Mopeds, dem Anhänger, dem Werkzeug und den Materialien wurde sogar die Leitha abgelassen, damit wieder alles gefunden werden konnte. 1973 ist Karl Muzatko in Pension gegangen, sein Hobby wurde Alteisensammeln. In „Gstettn“ und „Mistgruam“ ist er noch viele Jahre sammeln gegangen, um sich seine Pension aufzubessern.

 

Am 2. Jänner 1992 ist Karl mit seinem roten Mopedauto nach Mannersdorf gefahren, um einen Lottoschein aufzugeben. In die Trafik auf der Hauptstraße (heute Optik Lingfeld) sah ihn Frau Wagner an und fragte: „Herr Muzatko ist ihnen schlecht?“ „Na, is eh ois guad“, sagte Karl noch. „Mitn Moped los ich ihna do jetzt ned wegfoahn“, als Frau Wagner dies noch sagte, ist Karl schon zusammengebrochen. Dr. Belza war zufällig in einem Geschäft gegenüber und kam, wie auch Dr. Skodler, noch zur Hilfe. Sie konnten Karl noch stabilisieren, er ist aber dann im Rettungshubschrauber am Weg nach Eisenstadt mit 77 Jahren verstorben. Elisabeth Muzatko lebte nach dem Tod ihres Mannes noch einige Jahre alleine in ihrem Haus. Dann machten sich erste gesundheitliche Probleme bemerkbar, die Aufnahme in das Pottendorfer Pflegeheim wurde notwendig – dort ist Elisabeth in der Nacht auf den 27. April 2008 verstorben.


Foto 1: Gruppenbild mit Karl Muzatko im Vordergrund (Archiv Johann Amsis)

Foto 2: Karl Muzatko in späteren Jahren (Ingrid Feichtinger)

Foto 3: Karl Muzatko (re.) (Archiv Johann Amsis)

Foto 4: "Aufmarsch" zu Elisabeth Muzatkos 90. Geburtstag, 2003 (Ingrid Feichtinger)

Foto 5: Familiengrab Muzatko am Mannersdorfer Friedhof (Michael Schiebinger)