Online-Gschichtl Nr. 28

Eine Apothekerfamilie und ihr Zementwerk

Wenn man anderswo erklärt, man komme aus Mannersdorf, dann hört man oft „ah, dort wo das Zementwerk steht“. Tatsächlich ist das größte Zementwerk Österreichs ein Landmark im Industrieviertel geworden. Doch wie kam es eigentlich zur Fabriksgründung? Michael Schiebinger blickt zurück auf die spannende Industriegeschichte unserer Stadt.

Um die Zusammenhänge der Werksgründung in Mannersdorf zu verstehen, muss man erst einmal einen Blick ins schwäbische Ulm machen. Die von dort gebürtigen Brüder Gustav Ernst, Julius und Wilhelm Leube begründeten nämlich die Zementindustrie in Deutschland. Gustav Ernst (1808-1881) studierte zunächst Pharmazie, ehe er sich der Chemie und der Mineralogie zuwandte. Er beschäftigte sich im Bereich der Schwäbischen Alb und dem Blautal nahe Ulm zusehends mit der Gewinnung von Kalkmergel für die Zementherstellung. 1838 gründete Leube die erste Zementfabrik in Ulm im damaligen Königreich Württemberg. 1843 war das Geschäft soweit angelaufen, dass die Familie Zement bereits bis nach Wien und Prag lieferte. 1864 expandierten sie dann in das Kaisertum Österreich und erwarben um 57.000 Gulden das Zementwerk samt Mergelsteinbrüchen in Gartenau bei Hallein (Salzburg). Die Familie Leube kümmerte sich auch um die sozialen Belange ihrer Arbeiter, um ihre Wohnsituation und die Versorgung der Familien.

Unterdessen war auch in Österreich die Frühzeit der modernen Zementherstellung eingeläutet worden, dabei war besonders die Perlmooser AG mit ihren Tiroler Standorten von Bedeutung. Mit Angelo Saullich, aus dessen Unternehmen die Perlmooser AG hervorgegangen war, prozessierte Gustav Ernst Leube über das Privileg zur Herstellung des sog. Portlandzements. 1877 wurde das Privileg dann tatsächlich zu Leubes Gunsten aufgehoben. 1874 hatte Leube sogar kurzfristig den Plan verfolgt, sein Werk in Gartenau an die Perlmooser AG zu verkaufen.

Von Gartenau aus sollte vor 126 Jahren auch der Beginn der Zementerzeugung in Mannersdorf eingeläutet werden. Die hohe Qualität des Leithakalks, das Tegelvorkommen und die günstige geografische Lage führten dazu, dass am Fuße des Leithagebirges im Jahr 1894 das Zementwerk Mannersdorf gegründet wurde. Die Gründerin war die Firma der Gebrüder Leube, diese erwarb mit 30. August 1894 diverse Parzellen der Familien Hackl, Hofschneider, Karner, Pauer, Schuch und Zwerger sowie der Pfarre, um darauf das Werksgelände ihrer neuen Zweigniederlassung anlegen zu können. Noch 1894/95 wurden in Mannersdorf vier Dietz’sche Etagenbrennöfen errichtet, die eine Jahresleistung von 24.000 Tonnen erbrachten (sog. „Werk A“). Ähnliche Schachtöfen waren bereits zuvor in Gartenau eingesetzt worden. In Mannersdorf wurde von Beginn an ausschließlich Portlandzement erzeugt und kein „veralteter“ Romanzement mehr.

Als Standort des Werkes wurde jene Ebene am nördlichen Ortsrand gewählt, die nahe am Bahnhof und der Eisenbahnstrecke lag. Die 1884 eröffnete Lokalbahn nach Schwechat wurde nun auch ein wesentliches Transportmittel für die Zementprodukte. Noch im Jahr 1895 begannen die Bauarbeiten für einen Anschluss zwischen Hauptstrecke und Zementwerk. Zeitgleich entstand unter Baumeister Friedrich Sollak u.a. das Kantinengebäude. 1896 konnte das Werk den Betrieb mit ca. 100 Arbeitern aufnehmen, nachdem am 21. November 1895 von der Bezirkshauptmannschaft die Betriebsgenehmigung erteilt worden war.

Ab August 1899 wurde die Mannersdorfer Zweigniederlassung von Gustav Ernsts Enkelsohn Otto Leube (1870-1964) geführt. Dieser hatte – wie sein Großvater – Pharmazie studiert, verkaufte die Apotheke der Familie Leube in Ulm und stieg in das Zementgewerbe ein. Die wirtschaftliche Entwicklung des Mannersdorfer Werks sollte jedoch nicht an Fahrt gewinnen. Man hatte nämlich mit den Dietz’schen Etagenbrennöfen auf das falsche Pferd gesetzt, denn diese Ofenform war damals bereits veraltet und arbeitete wenig effizient. Anderswo hatte man längst auf die zukunftsweisenden Drehöfen umgestellt. Zudem kam es zu Problemen beim Mahlen des Leithakalks, sodass sich die Familie Leube 1904 vom Mannersdorfer Zementwerk trennte. Ein Schritt der etwas übereilt erfolgte und von der Familie bald bereut wurde.

Mit 1. Jänner 1904 sollte die Aktiengesellschaft der Kaltenleutgebener Kalk- und Zementfabrik Eigentümerin des Mannersdorfer Zementwerkes werden. Der Erwerb des Werkes von der Fa. Gebrüder Leube schlug mit 1.020.000 Kronen zu Buche. Otto Leube zog sich aus Mannersdorf zurück und übernahm das Werk Blaubeuren (nahe Ulm) in seiner schwäbischen Heimat.

 

Die Kaltenleutgebener Aktiengesellschaft war 1894 gegründet worden, indem die Zementfabrik von Hugo Ernst in Kaltenleutgeben und jene von Adolf Baron von Pittel in Weißenbach an der Triesting angekauft wurden. Durch die 1905 erfolgte Eingliederung der Kaltenleutgebener Kalk- und Zementfabrik in die Perlmooser AG, ging nun auch das Mannersdorfer Werk an den neuen Eigentümer über. 


Foto 1: Mannersdorfer Zementwerk, vor 1905 (Archiv Lafarge Zementwerk Mannersdorf)

Foto 2: Zeitungsanzeige der Fa. Gebrüder Leube (Archiv Michael Schiebinger)

Foto 3: Mannersdorfer Zementwerk, vor 1905 (Digitales Archiv Stadtmuseum Mannersdorf)

Foto 4: Elegantes Industriedesign der Jahrhundertwende (Archiv Lafarge Zementwerk Mannersdorf)

Foto 5: Befüllen der Zementfässer (Archiv Lafarge Zementwerk Mannersdorf)

Foto 6: Herstellung der Zementfässer (Archiv Lafarge Zementwerk Mannersdorf)