Online-Gschichtl Nr. 144

Die Familie Mandl und ihr Weg nach Wasenbruck

Johann Amsis berichtet diesmal wieder über eine Wasenbrucker Familiengeschichte.

 

Die Geschichte der Familie Mandl und ihr langer Weg nach Wasenbruck ist besonders spannend. Waltraud Kaminski (geb. Mandl) und Karlheinz Mandl haben mir dankenswerter Weise einiges darüber erzählt.

Wie schon oftmals erwähnt übernahm die Firma Hutter und Schrantz 1884 die „Wasenbruckmühle“ und eröffnete dort eine rentable Filztuchfabrik. Da es zu Beginn des 20. Jahrhunderts große Nachfrage nach Filztüchern für die Papierherstellung gab und das Wasenbrucker Werk bald an seine Kapazitätsgrenzen stieß, bedurfte es neuer Wege. Die Firmenleitung von Hutter und Schrantz entschloss sich, im nordböhmischen Niemes (cz. Mimoň) die dortige Filztuchfabrik von Robert Bayer zu erwerben. Im Jahr 1906 ging dieser Kauf über die Bühne und das dortige Werk wurde zur Expansion in die Aktiengesellschaft von Hutter und Schrantz eingegliedert. Die Fabrik von Niemes (Mimoň) lag im deutschsprachig geprägten Umland von Reichenberg (Liberec).

Etwa im gleichen Zeitraum wurde mehrere hundert Kilometer südlich, in Scheibbs, am 27. Oktober 1896 Karl Mandl, der Großvater von Waltraud und Karlheinz, als Sohn des Schlossergesellen Franz Mandl geboren. Karl wuchs in seinem Elternhaus im Lueggraben auf und erlernte, wie sein Vater, den Beruf des Schlossers. Während des Ersten Weltkrieges wurde auch Karl zum Militär eingezogen. Er war in Bled im heutigen Slowenien und später auch in Triest stationiert – beim Militär schaffte er es sogar bis zum Rang eines Majors.

Bertha Anna Weiß war wiederum in der Küche des letzten österreichischen Monarchen, Kaiser Karl I., als Köchin beschäftigt. Irgendwo fern der Heimat haben sich dann die Wege von Karl Mandl und Bertha Weiß gekreuzt. Das Wissen darüber wo dies geschehen sein könnte, ist leider verloren gegangen. Bertha stammte jedenfalls aus Niemes (Mimoň), wo sie 1899 zur Welt gekommen war. Am 29 Oktober 1919 wurde in Scheibbs geheiratet. Bald darauf gingen Bertha und Karl in die nordböhmische Heimat der Braut. Sie ließen sich in Barzdorf am Rollberge (Pertoltice pod Ralskem) nahe Niemes nieder. Die Region war damals bereits Teil der jungen Tschechoslowakischen Republik. Im Jahr 1920 wurde dem Paar Tochter Berta geboren und 1921 folgte Tochter Trude. Sohn Alfred, der spätere Vater von Waltraud und Karlheinz Mandl, kam 1924 zur Welt und 1929 wurde mit Herbert ein weiteres Kind der Familie geboren. Karl Mandl fand in Niemes in der Filztuchfabrik von Hutter und Schrantz Arbeit als Meister. Er erfand sogar einen Spezialfilz, der unter dem Namen „Löwenmanchon“ bekannt und vertrieben wurde. Der Löwe war bekanntlich das Markenzeichen des Unternehmens.

Mutter Bertha besserte das Familieneinkommen mit Heimarbeit auf. Es war ein glückliches Leben, man hatte Arbeit, die Kinder wuchsen in geordneten Verhältnissen auf, auch ein eigenes Haus konnten sich die Mandl leisten. Die Tschechoslowakische Republik war damals wirtschaftlich wie kulturell aufstrebend, wenngleich auch hier der deutsche und der slawische Nationalismus für Spannungen sorgte.

Die NS-Zeit ging auch an der Familie nicht spurlos vorbei. Durch das Münchner Abkommen wurde die Stadt Niemes 1938 als Teil des sog. „Sudetenlandes“ annektiert, dem Dritten Reich einverleibt und die tschechische Bevölkerung unterdrückt. Sohn Alfred Mandl wurde zur Wehrmacht eingezogen und als gelernter Mechaniker an den Fliegerhorst Manching bei Ingolstadt verlegt. Dieser Stützpunkt hatte die Aufgabe beschädigte Flugzeuge des Afrikafeldzuges zu reparieren. Nach erfolgter Reparatur wurden die Maschinen wieder mit einer Besatzung nach Afrika geflogen. Auch Alfred hatte schon die Uniform vom Afrikakorps im Spind, wo sie auch bleiben sollte, da der Feldzug 1943 nach dem dortigen Sieg der Alliierten endete. Alfred selbst geriet gegen Ende des Krieges in britische Kriegsgefangenschaft.

Indes hatte die US-Armee am 7. April 1945 die deutsche Stadt Hildesheim besetzt, wo ebenso ein großer Fliegerhorst gelegen war. Bald übergaben die Amerikaner die Stadt und den Flugplatz an die Briten. Alfred wurde als Kriegsgefangener von den Briten vor die Wahl gestellt, nun in Hildesheim britische Flugzeuge zu reparieren oder nach England in ein Lager zu kommen. Er hat sich letztlich für die Flugzeuge entschieden und kam nach Hildesheim. Als sich die Zeiten entspannten, hat Alfred in Hildesheim als Automechaniker gearbeitet. Er lernte zudem Anneliese kennen, das Paar hat noch 1946 geheiratet und Sohn Karlheinz bekommen.

Nach Ende der NS-Herrschaft und dem Ende der Besetzung der Tschechoslowakei wurde im Mai 1945 ein Großteil der deutschsprachigen Bevölkerung auf Grundlage der Beneš-Dekrete vertrieben. 1948 ergriffen zudem die Kommunisten die Macht im Land. Auch die Firma Hutter und Schrantz war nun betroffen, die Fabrik in Niemes und zwei weitere Werke in der Tschechoslowakei gingen durch die verschiedenen politischen Veränderungen verloren. Die Familie Mandl hatte in ihrer nordböhmischen Heimat keine Arbeit mehr, viele Freunde mussten das Land verlassen und die Deutschsprachigen waren bei der Tschechischen Bevölkerung unbeliebt – so entschloss man sich, ebenfalls das Land zu verlassen.

Die große Frage war, wohin man gehen soll, wenn man eine große Familie hat, aber nicht weiß, wo man Arbeit und Wohnung findet. Die alte Heimat aufzugeben, war alles andere als einfach. So suchte man das Gespräch mit der Firma Hutter und Schrantz, vielleicht gab es ja in einem anderen Werk Arbeit und Wohnmöglichkeiten für die Familie. Karl Mandl wurde daraufhin an das Werk nach Wasenbruck vermittelt. Auch der bisherige Direktor von Hutter und Schrantz in Niemes sowie einige andere Kollegen sollten hierherziehen und am Wiederaufbau mitwirken.

Karl, Bertha und Herbert Mandl sind mit gemischten Gefühlen nach Österreich aufgebrochen. Noch 1945 kamen sie in Wasenbruck an, wo Karl fortan als Meister arbeitete und die Abteilung für den „Löwenmanchon“ leitete. Da sich die Eltern in Wasenbruck wohlfühlten, sind die Töchter Trude und Berta bald nachgekommen. Berta hat in der „Garnprobe“ von Hutter und Schrantz rasch Arbeit gefunden. Nach und nach ist auch die restliche Familie nachgekommen. Selbst Sohn Alfred hat Hildesheim mit seiner Familie hinter sich gelassen und fand hier Arbeit und Wohnung. Somit war die Familie nun endlich in Wasenbruck wieder vereint.

 

Die Mandls haben sich am Orts- und Vereinsleben von Wasenbruck rege beteiligt. Alfred war bei den Naturfreunden, beim Siedlerverein, bei den Wanderern und im Ortsausschuss aktiv. Karlheinz engagierte sich in der SPÖ und bei den Kinderfreunden, er hat es sogar zum stellvertretenden Bezirksobmann der Kinderfreunde gebracht. In den Wirtschaftswunderjahren schaffte es die Familie Mandl Eigenheime zu errichten, Alfred, Herbert, Berta und Reinhard errichten ihre Häuser in der Kinderheimstraße. Unter den Wasenbruckern wurde die Kinderheimstraße daraufhin scherzhaft umbenannt und inoffiziell als „Mandlring“ bezeichnet. Karl Mandl ist im August 1976 verstorben, seiner Gattin Bertha waren noch sieben weitere Jahre vergönnt. Die Familie ist auch heute noch in Wasenbruck und in der näheren Umgebung verwurzelt. Tochter Waldtraud hat zwar die Liebe nach Deutschland geführt, aber die tiefe Bindung an ihren Heimatort Wasenbruck hat sie nie losgelassen, daher dürfen wir sie mehrmals im Jahr bei uns begrüßen.


Foto 1: Niemes in Nordböhmen, alte Heimat der Familie Mandl (ÖNB/AKON, AKON_AK062_577)

Foto 2: Die Wasenbrucker Meister von Hutter und Schrantz, mittig Karl Mandl (Familie Mandl)

Foto 3: Karl Mandls "Löwenmanchon" (Johann Amsis)

Foto 4: Alfred, Anneliese und Karlheinz Mandl bei ihrer Übersiedlung nach Wasenbruck mit Ferdinand Slavik, dem Chauffeur von Hutter und Schrantz (Familie Mandl)

Foto 5: Die Mandls in Wasenbruck (Archiv Johann Amsis)

Foto 6: Die Mandls und ihre rege Teilhabe am Vereinsleben (Familie Mandl)

Foto 7: Grabstätte der Familie Mandl am Mannersdorfer Friedhof (Johann Amsis)