Online-Gschichtl Nr. 149

Das Tattendorf - Teil 2

Im zweiten Teil des Online-Gschichtls begibt sich Michael Schiebinger nochmals ins Tattendorf.

 

Im Tattendorf gab es früher neben Wohnhäusern auch kleinere Betriebe, wie die Steinmetzwerkstatt der Familie Hof oder jene der Familie Gubier, aber auch die Bäckerei von Franz Boček. Von 1893 an befand sich zudem der erste Tischlereibetrieb der Familie Karpf im Tattendorf. Im Haus Nr. 3 wohnte die Familie Saßmann, die von hier aus ihr Sand- und Schotterunternehmen verwaltete. Auf Nr. 58 lebte wiederum Familie Abraham mit ihrem Spenglerbetrieb, während zwei Häuser weiter Familie Hirmann einen Handel mit Schweinen führte. Und bei den Kopetzkys war das Installateurgewerbe beheimatet.

Ein einschneidendes Erlebnis sollte der große Ortsbrand vom 9. August 1885 werden, neben den Häusern im Markt und in der Jägerzeile, fielen auch die Gebäude im Tattendorf den Flammen zum Opfer. Begünstigt wurde die rasche Ausbreitung auch wegen den fehlenden Löschmöglichkeiten. Die Brandkatastrophe führte daher zur Errichtung eines Löschteiches am oberen Ende des westlichen Tattendorfs. Für die Kinder war der Teich ein idealer Abenteuerspielplatz. So bauten sie entlang der Straße ihre eigenen Dämme, öffneten dann den Damm des Teiches und schon schoss das Wasser über die vorhandene Kanalrinne talwärts. Mit den selbstgebauten Dämmen leiteten die Kinder das Teichwasser direkt in die Einfahrten der Tattendörfler um, die mit dem Lausbubenstreich dann zu kämpfen hatten. Die weitere Wasserversorgung wurde durch zwei Brunnen besorgt, einer stand in der Mitte der Gasse, der andere am namensgebenden Brunnbergl.

Auch im Winter wurde es anno dazumal im Tattendorf nicht langweilig, denn da wurden die schneebedeckten Straßen links und rechts des Brunnbergls zu Rodelbahnen umfunktioniert. Die Familie Boček verfügte über einen besonders großen Bob, mit dem man die Straße hinuntersausen konnte. Mit den Rodeln fuhren die Kinder bergab bis zur heutigen Ampelkreuzung, damals gab es ja noch kaum Straßenverkehr.

Mit der Eröffnung der Eisenbahnstrecke von Fischamend nach Mannersdorf 1884 zogen etliche Eisenbahnbedienstete nach Mannersdorf – sie ließen sich im Peerviertel und im Tattendorf nieder. Die Tattendörfler Eisenbahner galten gemeinhin als äußerst trinkfreudig. Und auch die Hausherrinnen im Tattendorf waren mitunter sehr resch, da waren Konflikte vorprogrammiert.

Der zweite größere Brand im Tattendorf brach am 8. September 1932 in der Werkstätte der Tischlerei Karpf aus. Das Ereignis hatte zu folge, dass der Standort im Tattendorf aufgegeben wurde. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war nun der Vorort auch baulich angewachsen, so entstanden die Häuser am Westende. Zwischen Jägerzeile und Tattendorfgasse wurde ein großes Anwesen von der Fa. Cornides-Kühmayer erworben und darauf zwei Mehrparteienhäuser errichtet – jenes nahe an der Tattendorfgasse sah einer Villa gleich. 1928 beendete Cornides-Kühmayer den Betrieb der Drahtzugfabrik und veräußerte alle Immobilien an die Perlmooser AG, die nun auch in den Besitz des Tattendorfer Anwesens kam. Am anderen, östlichen Ende des Tattendorfes ließ das Zementwerk in den 1920er-Jahren ein repräsentatives Haus für den Steinbruchleiter errichten, das noch heute die Zufahrt zum Steinbruch markiert. Bereits 1914 entstand eine Drahtseilbahn zwischen dem Perlmooser-Steinbruch und dem Zementwerk, deren Brücke nun die Legurva (später Hochleiten) vom Tattendorf trennte. In den 1960er-Jahren wurde die Seilbahn durch das heutige Förderband ersetzt. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg wurde das linke Tattendorf durch eine kurze Sackgasse erweitert, in der bald die ersten Häuser entstanden. Die Gasse wurde nach Dr. Eduard Richter benannt, dieser war 1847 als Sohn des Herrschaftsverwalters in Mannersdorf zur Welt gekommen. Richter wurde ein bedeutender Gelehrter, der als Geograf, Historiker, Gletscherforscher und Alpinist tätig war und 1905 in Graz verstarb.

Während der NS-Zeit waren im Mannersdorfer Schloss verschiedene Kriegsgefangene untergebracht, die auch im Tattendorf bei den Familien als Zwangsarbeiter bei der Viehhaltung eingesetzt waren. Die bescheidenen Verhältnisse brachten es mit sich, dass im Tattendorf keine Rinder gehalten wurden, sondern nur Kleinvieh. Die meisten Familien besaßen ein paar Ziegen, die als „Eisenbahnerkühe“ bezeichnet wurden – der Begriff leitete sich natürlich von den Eisenbahnerfamilien im Tattendorf ab.

In der Nachkriegszeit bestand das Tattendorf noch immer aus kleinen, meist giebelständigen Häusern. In den Wirtschaftswunderjahren wurde dann groß ausgebaut und so kamen die mehrgeschossigen Wohnhäuser hinzu. Bereits 1953 erhielt das Tattendorf eine Wasserleitung, sodass die Schöpfbrunnen schrittweise ihre Funktion verloren. Noch in den 1960er-Jahren war die Straße unbefestigt, da die Steinrinne am Straßenrand das abfließende Regen- und Schmelzwasser nicht fassen konnte, war die Straße schnell aufgeweicht und gatschig.

 

Ab dem Jahr 2001 wurde im Advent einige Jahre lang ein eigener Adventmarkt im Tattendorf abgehalten. Nach der Revitalisierung des Brunnbergls hat sich zudem ein eigener Frühschoppen als jährliches Straßenfest etabliert.


Foto 1: Das Tattendorf um 1940 (Archiv Karl Trenker)

Foto 2: Der Löschteich am Westende (Archiv Karl Trenker)

Foto 3: Der Brunnen im Tattendorf 1939 (Archiv Karl Trenker)

Foto 4: Wasserleitungsbau 1953 (Archiv Johann Kroupa)

Foto 5: Brunnbergl 1963 (Archiv Johann Kroupa)

Foto 6: Das westliche Tattendorf 1963 (Archiv Johann Kroupa)