Online-Gschichtl Nr. 157

Die Mannersdorfer Milchgenossenschaft

In der Mannersdorfer Hinausstraße befindet sich neben dem Feuerwehrhaus die alte Milchhalle. Michael Schiebinger widmet sich diesmal einem vielfach vergessenen Stück Mannersdorfer Wirtschaftsgeschichte.

 

In den 1920er-Jahren herrschte in Mannersdorf nach dem Ende des Ersten Weltkrieges eine unglaubliche Aufbruchstimmung. Das „Rote Mannersdorf“ schuf verschiedene Wohlfahrts- und Sozialeinrichtungen. Aber auch die konservativ geprägte Bauernschaft schien die Zeichen der Zeit erkannt zu haben und setzte auf Zusammenarbeit. Während die Gründung einer Landwirtschaftlichen Genossenschaft bzw. eines lokalen Lagerhauses aus politischen Gründen zunächst scheiterte, gelang zumindest der Zusammenschluss einiger Mannersdorfer Milchbauern. In den Jahren zuvor mussten die Landwirte selbst um die Abnahme ihrer Milch kämpfen und konnten nie sicher sein, ob sie dafür auch einen fairen Preis bekamen. Der Milchverkauf erfolgte früher noch ab Hof, die Familie Ackerl begann dann ihre Milch auch bei den Greißlern des Ortes zu verkaufen. Wie Frieda Dunshirn berichtete, gab es diese etwa bei Heinrich Ondraschek im Sortiment. Im Nachbarort Hof bestand damals schon länger eine Milchgenossenschaft und in Au war im Februar 1924 eine solche gegründet worden – dies dürfte wohl auch die hiesigen Landwirte angespornt haben, es den Nachbarn gleichzutun.

Im Herbst 1924 gründete sich die Mannersdorfer Milchgenossenschaft, der etwa 75 Mitglieder angehörten. Zum Obmann wurde Franz Buchberger gewählt, während der Kaufmann Heinrich Ondraschek zum Geschäftsführer bestellt wurde. Weitere namhafte Funktionäre waren die Herren Scharmann, Frast, Gottschy und Kopf. Bereits das erste Bestandjahr 1925 wurde zum Erfolg, es wurde damals eine Jahresmenge von 189.000 Liter Milch verarbeitet. Der Liter kostete 37 Groschen, dies würde heute einem Gegenwert von etwa 1,40 Euro entsprechen. Die Einnahmen des Milchverkaufs betrugen für 1925 insgesamt 70.000 Schilling, das wären nach heutiger Kaufkraft etwa 273.000 Euro.

Die positive Entwicklung führte dazu, dass die Genossenschaft 1926 an den Bau einer eigenen „Milchhalle“ ging. Der Mannersdorfer Baumeister Friedrich Sollak entwarf einen kleinen, rechteckigen Bau mit Walmdach, der an der Hintausstraße gegenüber der Pferdeschwemme errichtet werden sollte. Architektonisch knüpfte Sollak dabei ganz auf Höhe der Zeit an, da die Fassade in ihrer Klarheit und in ihren Detailformen als Mischung zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit einzuordnen ist. Die Ausführung, die Sollak selbst übernahm, kostete 12.800 Schilling, dazu kamen noch über 15.000 Schilling für die damals äußerst moderne Kühlanlage. Die Finanzierung wurde durch die Genossenschaftsmitglieder aufgebracht, die jeweils Anteile von 150 Schilling erwarben. Die Marktgemeinde stellte einen Betrag von 2000 Schilling zur Verfügung.

Am Sonntag, den 27. März 1926 konnte die vollendete Milchhalle feierlich eröffnet werden. Obmann Franz Buchberger hielt eine kurze Ansprache, während Bürgermeister Josef Haidn sein Wohlwollen bekundete und der Milchgenossenschaft die Unterstützung durch die Marktgemeinde zusagte. Die Feier wurde von der Burschenkapelle umrahmt und zugleich auch für die Generalversammlung der Genossenschaftsmitglieder genutzt. Im Inneren der Mannersdorfer Milchhalle befand sich neben dem Verkaufsraum eine Kühlanlage der Fa. Gellert, die über zwei Kühlräume für Milch und Fleisch verfügte. Die Milchhalle konnte von den Genossenschaftsmitgliedern so auch zur Kühlung von Fleisch verwendet werden. 1930 wurde im Anbau der Milchhalle sogar eine Fleischerei eingerichtet. Neben Milch wurden im Verkaufslokal zudem Eier angeboten.

Die nebenberuflichen „Milchkühler“ übernahmen die von den Bauern angelieferte Milch und brachten diese in die Kühlräume. Die Milch wurde nicht weiter behandelt, brauchte man eine Magermilch, so musste die bestellt und angeliefert werden. Der „überschüssige“ Anteil der Milch, der in der Milchhalle gesammelt wurde, ging weiter an die Molkereien. In großen Kannen wurde das flüssige Gut zur Bahn gebracht und verladen. Das herrschaftliche Gut hielt ebenso Rindvieh, dessen Milch direkt zum Bahnhof gebracht wurde und anschließend in Eisenbahnwaggons nach Wien geliefert wurde. Die Auer Milchgenossenschaft fuhr ihre Kannen wiederum für den Weitertransport mit dem Pferdwagen zum Mannersdorfer Bahnhof. Später brachten Lastwagen die Milchkannen direkt zu den Molkereien. Auch Wasenbruck wurde von Mannersdorf aus mit Milch versorgt, diese wurde zum Konsum geliefert und dort verkauft.

Neben der Milchgenossenschaft versuchte auch die Familie Ackerl weiterhin ihre Milch selbstständig zu vermarkten. Dazu stellte Mathias Ackerl 1936 den Konzessionsantrag für eine Milchtrinkhalle, der ständestaatliche Gemeindetag sah aber keinen Bedarf und lehnte das Ansuchen ab. Mit Heinrich Ondraschek saß damals übrigens auch ein Funktionär der Milchgenossenschaft im Gemeindetag – ob dieser wohl eine Konkurrenz fürchtete?

Während des Zweiten Weltkrieges wurde auch die Ausgabe von Milch rationiert, die Mannersdorfer mussten sich bei der Milchhalle mit Lebensmittelkarten anstellen. Die Milchgenossenschaft hielt ihren Betrieb auch in der Nachkriegszeit aufrecht, Obmann war weiterhin Franz Buchberger. Damals dürfte an der Milchhalle auch das jüngere Geschäftsportal mit der Freitreppe hinzugekommen sein. Ihre jährliche Vollversammlung hielt die Genossenschaft im Gasthaus Nemetschek ab. Milch war in der damaligen Zeit weiterhin ein teures Gut, daher war die Milchgenossenschaft besonders bestrebt, die Vorgaben der Behörden einzuhalten. So hatten die Mitglieder 1947 eine monatliche Quote von 45 Litern Milch zu erbringen. Die Produzenten erhielten damals für einen Liter Milch 50 Groschen bezahlt, bei einer Übererfüllung der Quote gab es Prämien.

Ältere Mannersdorferinnen und Mannersdorfer können sich noch gut daran erinnern, wie sie als Kinder die Milch mit der Kanne bei der Milchhalle abgeholt haben. Beim Heimweg kam es da manchmal zu Missgeschicken und die gute Milch wurde, sehr zum Ärger der Eltern, verschüttet. Auch der süßliche Duft, der aus der Milchhalle strömte, ist vielen noch in Erinnerung. Die Milchhalle war zudem ein wichtiger Treffpunkt und Kommunikationsort, an dem Neuigkeiten ausgetauscht wurden.

 

Mit dem Aufkommen der Supermärkte änderten sich in den 1960er- und 1970er-Jahren auch die Quellen für den Milchbezug. Die Konsumenten konnten nun länger haltbare Milchprodukte in Kartonabfüllungen erwerben. Gleichzeitig entstanden immer stärker expandierende Milchverarbeitungsunternehmen, sodass die kleinen örtlichen Milchgenossenschaften ins finanzielle Trudeln kamen und letztlich dem Konkurrenzdruck unterlagen. Auch die Mannersdorfer Milchgenossenschaft fand so ihr Ende, geblieben sind zahlreiche Erinnerungen und das Gebäude der Milchhalle, das nach Jahrzehnten des Leerstands leider „dahinwelkt“.

Foto 1: Die Mannersdorfer Milchhalle im Erbauungszustand, 1928 (Archiv Karl Trenker)

Foto 2: Die Mannersdorfer Milchhalle mit verändertem Geschäftsportal und Freitreppe, um 1960 (Archiv Karl Trenker, Herkunft von Johannes Kaltner)

Foto 3: Die Milchverarbeitung bei der Familie Ackerl (Archiv Karl Trenker)

Foto 4: Auch die Hofer Milchhalle ist noch als Bau erhalten (Michael Schiebinger)