Online-Gschichtl Nr. 174

Das Kriegsende und die Nachkriegszeit in der Region Mannersdorf im Spiegel von Zeitzeugenberichten – Teil 1

Die NS-Zeit und die Zeit des Zweiten Weltkrieges waren in Österreich lange in der Politik und in der Gesellschaft als Tabuthemen angesehen worden. Erst in den 1980er-Jahren wurden die NS-Zeit bzw. die Kriegszeit nun verstärkt im Unterricht thematisiert. Auch die Mannersdorfer Hauptschule beteiligte sich damals an einem Zeitzeugenprojekt, das nach bald 40 Jahren nun selbst als historisches Dokument zu werten ist. Heribert Schutzbier greift in einem mehrteiligen Online-Gschichtl die Zeitzeugenberichte von 1985 wieder auf und gibt sie wortwörtlich wieder:

 

1985 jährten sich das Kriegsende zum 40. Mal und die Unterzeichnung des Staatsvertrages zum 30. Mal. Aus diesem Anlass wurden die Schulen aufgefordert, diese Themen im Unterricht besonders zu berücksichtigen. Die Mannersdorfer Hauptschule führte deshalb in der Woche von 15. bis 20 April 1985 unter dem Titel „40 Jahre Zeitgeschichte“ einen Projektunterricht durch, dessen Ergebnisse am 15. Mai 1985 in einer großen Ausstellung in der Aula der Schule der Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Natürlich mussten für dieses Projekt entsprechende Vorarbeiten geleistet werden. So erhielten die Schulkinder Mitteilungsblätter, die sie in ihren Heimatorten im Bekanntenkreis an Leute verteilten, die als Zeitzeugen in Frage kamen. Darin wurden die Bewohner des Hauptschulsprengels ersucht mitzuwirken, den beigeschlossenen Fragebogen auszufüllen, sich von den Kindern befragen zu lassen, eigene Beiträge zu liefern oder in anderer Weise zu helfen. Da die Bevölkerung dem Projekt sehr aufgeschlossen gegenüberstand, konnte eine größere Anzahl Zeitzeugenberichte gesammelt werden. Die Themen „Heimkehr aus der Kriegsgefangenschaft“ und „Die letzten Kriegstage und die Notzeit“ brachten sehr interessante Berichte, welche für die lokale Heimatforschung einen echten Gewinn bedeuteten.

 

Während des Projekts gab es keinen klassenmäßigen Unterricht und keinen Stundenplan. Die Kinder wurden nach ihren Herkunftsorten in Gruppen von jeweils 11 bis 14 Teilnehmern eingeteilt und arbeiteten täglich jeweils 4 Stunden an diesem Projekt. Das Lehrpersonal der Schule beteiligte sich geschlossen und begleitete die Gruppen bei deren zeitgeschichtlichen Forschungen in den einzelnen Orten der Umgebung. Als Zeitdokumente wurden dort Aufzeichnungen aus Gemeindeämtern, Pfarren und Volksschulen gesichtet und exzerpiert, Fotos, Zeitungsausschnitte, Plakate und Gegenstände aus der Nachkriegszeit gesammelt und Bewohner als Zeitzeugen befragt. Danach wurden die Ergebnisse in der Hauptschule gemeinsam gesichtet und in Form von Niederschriften, Statistiken und Schaubildern ausgearbeitet und so dokumentiert.

 

Obwohl die einzelnen Zeitzeugenberichte als persönliche Erlebnisse natürlich subjektiv gefärbt sind, werfen sie wertvolle Schlaglichter auf jene Zeit und geben in Verbindung mit Fotos und Dokumenten in ihrer Gesamtheit ein lokales Zeitbild unserer Region ab. So möchte ich heute noch allen Schülern, Lehrern und Zeitzeugen, die damals an diesem großen Projekt mitarbeiteten, meinen besonderen Dank aussprechen. Sie leisteten wichtige Beiträge zur zeitgeschichtlichen Dokumentation unserer Region.

Die nachfolgenden Zeitzeugenberichte aus Mannersdorf, Sommerein, Götzendorf, Pischelsdorf und Hof stammen aus dem damaligen Projekt. Teils wurden sie von den „Berichterstattern“ selbst aufgeschrieben und sind hier wörtlich wiedergegeben, teils wurden sie mitgeschrieben und anschließend in eine lesbare Form gebracht. Aus persönlichen Gründen sind die meisten Namen der Zeitzeugen bzw. genannten Personen abgekürzt wiedergegeben. Bei einigen Beiträgen sind die Namen der Zeitzeugen auf deren Wunsch hin anonymisiert.

 

Zunächst sollen die Zeitzeugen aus Mannersdorf zu Wort kommen und berichten, wie sie die Zeit vor dem Kriegsende erlebt haben. Zu den alliierten Bombenangriffen des Sommers 1944 gab Alois K. aus Mannersdorf folgenden Bericht: „Ich war in dieser Zeit im Lazarett [Kaserne] in Götzendorf. Meine zukünftige Gattin arbeitete mit einigen anderen Frauen dort in der Schneiderei. Vor feindlichen Fliegerangriffen konnte man aus dem Volksempfänger den ‚Kuckucksruf‘ vernehmen. Der bedeutete, dass man in großer Eile einen Luftschutzkeller aufzusuchen hatte. Die erwähnten Frauen und ich suchten bei Alarm meist in einem Graben Richtung Sommerein Zuflucht. Dabei wurden wir auch einmal Zeugen eines Absturzes zweier Männer, deren Fallschirme defekt waren. Bei einem Alarm hatte ich eine eigenartige Vorahnung und wollte daher mit den Frauen den Graben Richtung Trautmannsdorf aufsuchen. Es gelang mir nur mühsam, sie von meinem Vorhaben zu überzeugen. Später fielen Bomben und es sollte sich herausstellen, dass ich richtig entschieden hatte, denn nicht weit von der Stelle, wo wir uns früher geschützt hatten, schlugen die Bomben ein und verletzten Leute schwer. In der Folgezeit bestiegen wir bei einem Alarm unsere Fahrräder, fuhren nach Mannersdorf und suchten dort Schutz in einer Höhle des Steinbruchs.“ Bei den Bombenabwürfen, die Alois K. beschrieb dürfte es sich um sog. „Notabwürfe“ gehandelt haben. Diese erfolgte, um nach den Luftangriffen auf Wien übergebliebene Bomben loszuwerden und durch geringeres Gewicht auf dem Rückflug Treibstoff zu sparen.

 

Über die letzten Kriegstage in Mannersdorf berichtet Maria A.: „Den Einmarsch der Besatzungsmacht erlebten wir im großen Stahl-Keller am Schubertplatz. Wir waren dort von Ostersonntag bis Mittwoch. Es waren dort viele Männer, Frauen und Kinder. Gelebt haben wir von etwas Brot, Wasser und Eingekochtem. Manchmal bekamen wir etwas Milch von einem Bauern. Am Ostermontag gab es dann große Aufregung. Es hieß, Soldaten der SS wollten den Keller in die Luft sprengen. Frauen und Kinder sollten evakuiert werden. Da der Keller nur über eine schmale Stiege zu erreichen und zu verlassen war, wurde die Mauer zum Weinkeller durchbrochen, falls es zu größeren Angriffen kommen sollte, dass wir den Keller leichter verlassen könnten. An Kampfhandlungen kann ich mich nicht erinnern. Nur einmal ging ich abends ins Freie. Da sah man an mehreren Stellen Feuer, die wahrscheinlich von der Wehrmacht beim Rückzug gelegt wurden. Am Mittwoch hieß es dann, die Russen wären da. Es wurde beschlossen, dass wir vorerst alle im Keller bleiben, weil einige Leute meinten, es wäre sicherer, wenn wir alle beisammen sind. Am Nachmittag kamen aber russische Offiziere, die sich mit einigen älteren Herren etwas verständigen konnten. Sie verlangten, dass wir alle nach Hause gehen sollten, es wäre nicht gut für Frauen und Kinder im Keller. Nun wusste ich nicht wohin. Nach Hause konnten wir nicht, unsere Wohnungstür war eingetreten worden. Mein Sohn war erst ein halbes Jahr alt. Da wollten uns auch unsere Mitbewohner nicht gern im Haus haben, aus Angst vor den Russen, dass diese merken würden, dass eine junge Frau im Haus ist, wenn er weint. Es waren auch einige Tage Russen im Haus. Als ich verzweifelt nicht ein und aus wusste, sagte dann Leopold Schiebinger aus dem Fabrikshaus (Perlmooserhof), wir dürfen zu ihnen kommen. Dort verbrachten wir dann mehrere Tage, bis die Lage etwas ruhiger wurde. Ich werde diese Zeit nie vergessen, wie hart sie war.“

 

Die unsichere Lage zu Kriegsende veranlasste manche Mannersdorfer Familie zur Flucht, wie Katharina K. erzählte: „Ich war geflüchtet. Warum? Ich habe den Krieg gefürchtet. Wir waren keine Nazis. Am 1. April 1945 sind meine 16-jährige Nichte und ich mit meinem dreijährigen Sohn mit einem deutschen Funkwagen mitgefahren. Bis nach Gresten im Mostviertel. Bei einem Bergbauern blieben wir bis zum Kriegsende. Dort ist es uns gut gegangen. Dieser Bauer hatte viele Flüchtlinge aufgenommen. Am 27. Mai sind wir mit einem Russen-Lastwagen bis Wien gefahren. Von Wien bis Himberg sind wir zu Fuß gegangen. Von da bis Götzendorf mit dem Zug, dann wieder zu Fuß bis Mannersdorf. Unser Haus war leer, alles geplündert, von den Leuten, nicht von den Russen. Die Schwägerin wollte mir die Möbel nicht zurückgeben. Alle glaubten, wir sind im Kampf umgekommen. Uns haben die Russen nichts getan. Meine Nichte musste zu den Russen Wäsche waschen gehen. Da bekam sie für uns alle das Essen. So hat das einige Wochen gedauert, dann bekamen wir schon einige Lebensmittel. Da mussten wir uns stundenlang anstellen für 1/4 Liter Milch und 1/2 Kilo Brot. Mit der Zeit wurde es dann besser.“

 

 

Fortsetzung folgt …

 

Foto 1: Mannersdorf in den 1940er-Jahren (Archiv Stadtmuseum Mannersdorf)