Online-Gschichtl Nr. 176

Das Kriegsende und die Nachkriegszeit in der Region Mannersdorf im Spiegel von Zeitzeugenberichten – Teil 3

Im dritten Teil zu den Zeitzeugenberichten steht bei Heribert Schutzbier nochmals Mannersdorf im Fokus.

 

Über den Alltag im Mannersdorf der Nachkriegs- und Besatzungszeit erzählte Alois K.: „Die Geschäfte waren leer, Lebensmittel waren gefragt, Geld war nutzlos geworden. Man konnte auch mit den Lebensmittelkarten nicht zu beliebiger Zeit die einem zustehende Ration beziehen, sondern musste auf einen Aufruf für ein spezielles Produkt warten und musste sich oft stundenlang anstellen. Die Leute litten Hunger. Auch Kleidung, Schuhe und sogar Zigaretten gab es nur auf Bezugschein. So war man gezwungen zur Selbsthilfe zu greifen. Mit Hilfe einer Handschrotmaschine konnte man Getreide oder Mais zu Mehl verarbeiten. Besaß man selbst keine Felder, musste man sie von Bauern eintauschen. Burgunderblätter wurden zu einer Art Spinat gekocht. Bauern und Selbstversorgern nutzte der Besitz von Geflügel und Schweinen nur wenig. Schon während des Krieges und erst recht danach musste die Anzahl der Tiere gemeldet werden. Es gab offizielle Viehzählungen, damit bei Schlachtungen ein Teil für die allgemeine Versorgung der Not leidenden Bevölkerung abgeliefert werden konnte. Nichtbefolgung der strengen Vorschriften wurde hart bestraft. Wer Dienstleistungen anbieten konnte, ließ sich diese mit Lebensmitteln bezahlen. Für eine Musikstunde bekam man 1/2 kg Mehl oder 5 dag Schmalz, 2 Eier oder 2 kg Kartoffeln. Leute aus Wien (sogenannte „Hamsterer“) kamen in die Landgemeinden, um Lebensmittel einzutauschen. So wechselten Silberbesteck, wertvolles Porzellan, Familienschmuck und dergleichen, ja manchmal sogar das eine oder andere Klavier seinen Besitzer. Die bald einsetzende Lebensmittelhilfe der Russen bestand aus größtenteils wurmigen Erbsen. Die später beginnende amerikanische Hilfe in Form von Paketen verschiedenen Inhalts war von besserer Qualität. Beide Hilfslieferungen waren vor allem für viele Stadtbewohner lebensrettend. In Wien im Resselpark blühte bald der Schleichhandel (Schwarzmarkt). Dort konnte man für 150 Schilling 1 kg Schmalz oder für 100 Schilling 1 l Wein erstehen. Im Juli 1945 fuhr ich vom zerbombten Ostbahnhof nach Götzendorf. Da es damals keine Verbindung nach Mannersdorf gab, marschierte ich zu Fuß weiter. Meine Ankunft in Mannersdorf blieb mir unvergesslich. Als ich in die Hauptstraße einbog und am Schloss vorbeikam, saßen auf dem großen Balkon oberhalb des Tores, der seit 1952 verschwunden ist, singende und Ziehharmonika spielende Russen.“

 

Auch Erna P. aus Mannersdorf wusste einiges zu erzählen: „Als wir das Herannahen der Russen bemerkten, suchten wir vorerst Zwischen den Weingärten im Keller des ehemaligen Gasthauses Muschel (Nr. 15) Schutz. Von dort brachte uns der Großvater in den Keller des Bauernhauses Reichhart, in den auch Pfarrer Johann Wimmer in Zivilkleidung kam. Das Erscheinen betrunkener Russen flößte uns große Angst ein. Eine russische Militärstreife holte die Soldaten aber bald ab. Bei der Rückkehr in unser Haus stießen wir auf ca. 25 Russen, die sich bei uns einquartiert hatten. Hausrat, darunter Essbesteck, Uhren und Radio lagen auf der Straße. Um unser Haus war ein Munitionsdepot angelegt worden und unsere Männer wurden zum Verladen desselben herangezogen. Pfarrer Wimmer zog sich bei den Verladearbeiten eine Handverletzung zu und wurde später durch einen jungen Mann ersetzt. Wir schliefen im Nachbarhaus. Bereits um 4 Uhr in der Früh musste meine Mutter jeden Tag ‚Katoschko und Tei‘ (Bratkartoffeln und Tee) in großer Menge kochen. Unser Haus wurde auch vorübergehend zu einem Lebensmittellager. Mein Bruder und ich mussten stundenlang geschlachtete Hühner rupfen. An ein Erlebnis kann ich mich noch gut erinnern. Ich hatte mich beim Bügeln an der Hand verletzt. Es gab bereits Anzeichen für eine beginnende Blutvergiftung als sich meine verzweifelte Mutter mit mir auf der Straße befand, um einen Arzt zu suchen. Es gab aber keinen Arzt mehr im Ort. Ein russischer Soldat führte uns ins Köstler-Haus, wo sich ein russischer Arzt befand. Durch eine sachgemäße Behandlung in letzter Minute rettete er mir eigentlich das Leben. Mit 14 Jahren musste ich in der Weberei in Götzendorf arbeiten. Anfang der 1950er-Jahre gab es schon im [ehemaligen] Gasthaus Kopper regelmäßig Feste, zu denen die Besatzungsmacht auch die Bevölkerung einlud. Ich erinnere mich noch genau an ein Handgemenge bei einem dieser Feste, bei dem ein russischer Soldat von anderen erschossen wurde.“

 

 

Über seine späte Heimkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft wusste Johann L. aus Mannersdorf zu berichten: „1945 geriet ich mit anderen deutschen Soldaten in Kurland (heute Lettland) in russische Kriegsgefangenschaft. 1947 sollten wir endlich Mitte November entlassen werden. Da wir untersucht werden sollten, wurden wir neu eingekleidet. Drei Tage mussten wir auf die ärztliche Untersuchung warten. Als der Arzt endlich kam, ging es ihm nur um Tätowierungen oder Narben an den Oberarmen, um so SS-Angehörige herauszufinden. Ich gehörte zwar nie der SS an, hatte aber an den Oberarmen Abszessnarben. So durfte ich zusammen mit anderen nicht in die Heimat und kam in einem Lager bei Leningrad (St. Petersburg) drei Monate in Isolierhaft. Einzelverhöre und Strafbunker lösten in dieser Zeit einander ab. Danach erfolgten Arbeitseinsätze. Im Juni 1949 begann endlich auch unsere Heimkehr. Zuerst wurden wir mit Lastwagen nach Rostow am Don gebracht, von wo wir im November mit der Bahn nach Ungarn gelangten. Nach einem sechstägigen Aufenthalt in Budapest fuhren wir weiter über Bruck und Gramatneusiedl nach Wiener Neustadt. Dort wurden wir registriert und erhielten den Entlassungsschein, 50 Schilling und ein Gulasch. Ich fuhr zurück nach Wien und von dort über Götzendorf nach Mannersdorf. Ab Februar 1950 konnte ich wieder in meinem Beruf als Steinmetz arbeiten.“

 

Fortsetzung folgt …

 

Foto 1: Schloss Mannersdorf, 1948 (Archiv Edmund-Adler-Galerie)