Online-Gschichtl Nr. 190

Die Wasenbrucker Filztuchfabrik von Hutter und Schrantz - Teil 6

Im sechsten und letzten Teil zur Geschichte der Wasenbrucker Filztuchfabrik widmet sich Hans Amsis der Nachkriegszeit und dem Niedergang des Werkes in den 1970er-Jahren.

 

Von direkten Kriegseinwirkungen blieb Wasenbruck verschont, es gab keine Bombenangriffe. Die einmarschierenden Russen drangen gleich in die Fabrik ein, um sie zu übernehmen. Es wurde auch „Beute“ gemacht, alles Wertvolle und Glänzende war begehrt, so erhielten auch zahlreiche Uhren neue Besitzer. Leider traf diese frühe Besatzungsphase auch die weibliche Bevölkerung von Wasenbruck, so kam es zu Vergewaltigungen und anderen gewaltsamen Übergriffen.

Trotz der schwierigen Nachkriegsjahre ging es bald wieder aufwärts, denn Filze wurden dringend gebraucht und die Produktion lief wieder voll an. Da die Firma Hutter und Schrantz sehr sozial eingestellt war, wurde darauf geachtet, dass in schlechten Zeiten zumindest ein Familienmitglied seine Arbeit behalten konnte. Wenn es wieder mehr Arbeit gab, wurde ein „Bote“ aus der Fabrik geschickt, um zu verkünden, dass man wieder arbeiten kommen durfte. Nach dem Kriegsende kam nach und nach so manch verschollen geglaubter Heimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft zurück. So berichtete etwa die „Volksstimme“ im September 1947, dass Erich Tatzber und Leopold Opferkuh aus der Gefangenschaft entlassen wurden und auf dem Heimweg waren.

Im Jänner 1949 gab es eine große Jubiläumsfeier, da nun viele nach dem Ersten Weltkrieg in den Betrieb eingetretene Mitarbeiter ihr 30-Jahr-Jubiläum begingen. Auch andere verdiente Werksangehörige konnten nun endlich gebührend geehrt werden. Das Jubiläum wurde groß und professionell gefeiert sowie mit Fotografien ausführlich dokumentiert. Alle Teilnehmenden hatten ihr bestes, meist einziges Sonntagsgewand hervorgeholt, um festlich gekleidet zu sein. Es gab Ansprachen von der Direktion, vom Betriebsrat und der Gewerkschaft. Urkunden wurden verteilt und es gab Gesangsdarbietungen vom Männergesangsverein unter der Leitung von Direktor Karl Oels. Die „Pschiwimusik“ mit dem Salonorchester spielte ebenfalls auf. Es wurde reichlich Bier kredenzt und als Nachspeise wurden Orangen gereicht, damals noch teuer und besonders. In den späteren 1950er- und 1960er-Jahren gab es diese Jubiläumfeiern weiterhin, aber sie fanden dann in der Fabrik in kleinerem Rahmen statt, da nicht mehr so viele Personen das gleiche Eintrittsjahr hatten. Urkunden gab es bei den silbernen und goldenen Jubiläen sowie bei den runden Geburtstagen. Das Jahr 1949 war ein Jahr der Feiern, im November beging Hutter und Schrantz noch sein 125-Jahr-Jubiläum als Unternehmen. Es gab wieder eine große Feier im Wasenbrucker Theatersaal und ein Buch zur Firmengeschichte wurde den Mitarbeitern als Jubiläumsgabe überreicht. Ein solches Exemplar hat Waltraud Hobler geerbt und dankenswerter Weise für diesen Beitrag zur Verfügung gestellt.

Die Zeit der Wirtschaftswunderjahre ist auch an Wasenbruck nicht spurlos vorrübergegangen. Die schönen Dinge, wie Urlaube oder ein Eigenheim, wurden nun leistbar. Der Hausbau wurde dabei in Eigenregie in der kargen Freizeit bewerkstelligt. Meine Mutter erzählte in späteren Jahren, dass es in Wasenbruck um 1960, abgesehen von den Firmenfahrzeugen, gerade einmal sieben Privatautos gab. Arbeit gab es bei der Hutter und Schrantz mehr als genug, die Filze für die Papierfabriken waren damals sehr gefragt. Die Produktion lief in drei Schichten, sodass von der Fabrik Tag und Nacht die Geräusche der Webstühle zu vernehmen waren. Das Licht der Produktionshallen beleuchtete die Windgasse. Die Leute, die im Altgebäude wohnten, mussten schon sehr lärmresistent gewesen sein, um bei dem Rattern schlafen zu können. Aber nichts desto trotz war die Hutter und Schrantz das Herz von Wasenbruck und so wurde über so manches Unangenehme hinweggesehen. Um immer einen Pool an Arbeitskräften zu haben, wurde einiges getan, den Leuten ein Arbeiten in der Fabrik schmackhaft zu machen. Die Arbeiterschaft wurde kostenlos mit Wohnraum, Strom und Wasser versorgt, aber auch den Häuslbauern stellte man Strom und Wasser gratis zur Verfügung. Zu den runden Geburtstagen und den Jubiläen wurden Silbermünzen überreicht. Für den Winter bekam man günstig Heizmaterial, das mit den Firmenfahrzeugen zu den Wohnhäusern gebracht wurde. Die Arbeiter bekamen Bezugskarten und konnten sich mit Jutesäcken für ihren Anteil an Kohle und Briketts anstellen. Eine spezielle Waage stand zur Verfügung, mit der die Herren Gruidl und Winter die zuerkannte Menge streng portionierten.

Für das kulturelle Leben wurde ebenso gesorgt, so gab es für die Mitarbeiter einmal im Jahr 200 Schilling als Kulturbeitrag. Vom Betriebsrat wurden Fahrten in die Wiener Stadthalle organisiert, etwa zum Zirkus ATA („Artisten Tiere Artaktionen“). Aber am beliebtesten war die Wiener Eisrevue, diese hinterließ Eindrücke, die man auch im Erwachsenenalter nicht mehr vergisst. Schon die Fahrt durch das nächtliche Wien beeindruckte uns Kinder ungemein. Damals war die Stadthalle bis auf den letzten Platz ausverkauft und im Orchestergraben spielte Robert Stolz noch selbst mit seinem Orchester.

Die meisten Kinder von Wasenbruck waren darauf eingestellt, später auch einmal im Werk anzufangen. Mit zwölf Jahren durften sie mit einem Elternteil erstmals den Betrieb besichtigen. Das war eine Aufregung, endlich einmal weiter als bis zum Portier zu kommen. Vorbei an der Stempeluhr wurde man durch die Firma geführt, aus allen möglichen Richtungen wurde man von Verwandten und Bekannten, die gerade in der Schicht waren, angesprochen: „Wüsd ah do herin, in dera Bude oawadn?“ Aber was weiß man schon als zwölfjähriges Kind von der Welt. Also war meine Vermutung, dass ich ebenfalls mein Arbeitsleben im Werk verbringen werde – es sollte dann doch anders kommen.

Um 1970 stellte die Papierindustrie ihre bisherige Produktionsweise um und die Verwendung von Filztüchern war rückläufig. Irgendwann kam dann das Gerücht auf, dass „de Bude zuaspiat“. Anstatt der Filztücher wurde nun versucht Netze, Asbeste und ähnliches herzustellen, aber diese hatten nicht das Potenzial, den Filz zu ersetzen. So wurde beschlossen, das Wasenbrucker Werk 1974, nach 90 Jahren seines Bestehens, zu schließen. Das meiste Inventar, die Webstühle und die Maschinen der Spinnerei wurden an die Firma Fetz in Gloggnitz verkauft. Auch einige Mitarbeiter wurden in den dortigen Standort übernommen. Betriebsratsobmann Richard Tatzber hatte durch seine Tätigkeit gute Kontakte zu seinen Kollegen in anderen Firmen. So hatte es sich ergeben, dass die Firma Stollack in Guntramsdorf etliche Wasenbrucker aufnahm. Sie stellte sogar VW-Busse zur Verfügung, um die hiesigen Arbeiter viele Jahre lang nach Guntramsdorf zu bringen. Mein Vater wurde noch bis zum bitteren Ende beschäftigt, um die Fabrik zu räumen und alles Verkaufte auszugeben. Eines war ihm aber ein Dorn im Auge, die Unmengen an blauen Netzen, die erfolglos als Ersatzprodukte gewebt worden waren, wollte niemand abkaufen. Eines Tages war ein Onkel aus Winden am See bei uns zu gast. Es wurde auch die Firmenschließung besprochen und der Umstand, dass noch so viele Netze da waren. Mein Vater meinte, dass die Netze doch etwas für die burgenländischen Weingärten seien, um die Stare abzuhalten. Der Onkel sagte zu, mit einem ihm bekannten Weinbauern über die Netze zu sprechen. Dieser Weinbauer kam dann tatsächlich, um sich die Netze anzuschauen und erwarb eine der Netzrollen. Das Interesse war geweckt, es hat sich schnell herumgesprochen und alle Netze waren alsbald verkauft. Wenn man heute jenseits des Leithagebirges im Burgenland unterwegs ist, kann man manchmal Weinstöcke mit einem ganz penetrant blauen Netz abgedeckt sehen, dass sind vermutlich noch die letzten Reste dieser Netze.

 

Nach der Werksschließung wurde es einige Jahre ruhig um das Firmenareal, der Verfall der Fabrikgebäude begann, als plötzlich wieder etwas Bewegung in die Sache kam. Die Firma Eduscho eröffnete am Fabriksgelände ein Lager. Aus dem Schlott stieg wieder Rauch auf und das Herz der Arbeiterschaft schlug plötzlich höher. Die Fabrik lebt wieder, wie es schien. Einige Jahre ist es ganz gut gelaufen, bis Eduscho nach Bruck abwanderte, später dann nach Ungarn. Zwischenzeitlich war das Möbelix-Lager nach Wasenbruck gekommen, dass mittlerweile auch schon wieder Geschichte ist. Auch heute gibt es noch einen Webshop, ein Kartoffellager, eine Werkstatt, einen Flohmarkt und vieles andere auf dem alten Werksgelände. Die große Zeit der Fabrik ist aber lange vorbei und wird auch nie wieder kommen. Trotzdem können wir Wasenbrucker noch heute stolz und dankbar auf unsere Hutter und Schrantz zurückblicken.

Foto 1: Wasenbruck in der 1960er-Jahren (Elfi Fischer)

Foto 2: Die Herren Gruidl und Winter bei der Ausgabe der Kohlenbriketts (Ingrid Feichtinger)

Foto 3: Eine der Feiern des Wasenbrucker Werks (Elfi Fischer)

Foto 4: Feierliche Anprache (Elfi Fischer)

Foto 5: Franz Kardinal König zu Besuch im Werk (Elfi Fischer)

Foto 6: Auch mit Geschenkkörben wurde im Werk nicht gespart (Elfi Fischer)

Foto 7: Gemütliches Beisammensein bei einer Werksfeier (Johann Amsis)

Foto 8: Gemütliches Beisammensein bei einer Werksfeier (Johann Amsis)