Online-Gschichtl Nr. 194

Das Waldgasthaus "Zur Hinterbrühl" - Von Mördern und Freischützen im Leithagebirge

Ava Pelnöcker berichtet im Nachgang zu unserer Veranstaltung in Kaisersteinbruch heute über das einstige Waldgasthaus „Zur Hinterbrühl“. Dieses wurde bis in die 1930er-Jahre hinein auch gerne von Mannersdorfer Gästen besucht. Doch die Idylle des abgelegenen Ortes erwies sich als trügerisch …

 

Eine Dreiviertel-Gehstunde von Sommerein entfernt, lag das Waldgasthaus (Sommerein Nr. 188) unmittelbar an der damaligen österreichisch-ungarischen Grenze, die hier noch heute völlig unspektakulär als Landes- und Gemeindegrenze durch den Draxelgraben verläuft. Durch seine versteckte Lage mitten im Wald bildete das Gasthaus gleichermaßen einen Anziehungspunkt für Spaziergänger, Liebespaare und Nachtschwärmer, denn fern aller behördlichen Aufsicht hielt der Wirt die offizielle Sperrstunde nicht immer genau ein. Solcherart fand manche Wirtshausrunde ihre Fortsetzung bis weit in die Morgenstunden. Der Hauptbetrieb herrschte naturgemäß während der Sommermonate. Auf dem großen Platz vor dem Wirtshaus waren unter schattigen Bäumen vierzig bis fünfzig Tische aufgestellt. Hier standen drei schöne Kegelbahnen zur Verfügung und ein betonierter Tanzboden mit Flugdach bot oft genug Gelegenheit zu den Klängen einer improvisierten Musikkapelle das Tanzbein zu schwingen.

Während 1771 Karl Pall hier erstmals als Eigentümer eines Gebäudes im Urbar der Herrschaft Scharfeneck aufscheint, dürfte der Gasthausbetrieb erst später aufgenommen worden sein. Um 1819 weist der Franziszeische Kataster das Gebäude als „beym Brandner” – also wohl „beim Brandweiner“ – aus. In der Franziszeischen Landesaufnahme ist die Ansiedlung als „Ziegelhaeusel“ ersichtlich gemacht. 1850 erwarb der frisch verheiratete, gerade einmal zwanzigjährige Markus Gstettner mit seiner Gattin Magdalena die Wirtschaft von Franz Ramsauer, der sich in der Folge in Bad Ischl als Hotelier (!) niederließ.

Die idyllische Waldeinsamkeit soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Abgeschiedenheit der Lage innerhalb weniger Jahrzehnte zwei Wirten zum tödlichen Verhängnis wurde. Am 9. März 1878 berichtete das Neuigkeits-Weltblatt über die „Bluttat nächst Sommerein: …am Abende des 2. März wurde in dem eine Viertelstunde von Sommerein entfernten, am Saume des Waldes gelegenen Wirthshause der Eheleute Gstettner ein furchtbares Verbrechen verübt, indem der Steinbrucharbeiter Josef Dinghof aus Kaisersteinbruch, die beiden hochbetagten Eheleute Gstettner sowie deren Stieftochter Marie Redmann, mit Messerstichen tödtlich verwundete und sodann, ohne einen Raub vollführt zu haben, die Flucht ergriff. Ueber die bei Wilfleinsdorf erfolgte Verhaftung des Mordgesellen theilt man uns folgende Details mit: Johann Dinghof, trieb sich in der Nacht vom 2. auf den 3. März und auch Sonntag, am Tage nach der That, bald in den Wäldern und Schluchten an der ungarischen, bald in jenen an der österreichischen Grenze herum, und es gelang ihm, während dieser Zeit den ihn verfolgenden Gendarmen, Panduren und Jägern zu entgehen. Sonntag Nachts schlich er sich in den Stall des Jägers Fischer im Kaisersteinbrucher Walde und verbarg sich daselbst im Stroh, wurde aber am nächsten Morgen von dem Dienstmädchen, seiner ehemaligen Geliebten, und einem Enkel des Jägers entdeckt, denen er versprach, sich sofort selbst dem Gerichte zu stellen. Es wurde nun die Thür des Stalles versperrt und die Hausleute von der Anwesenheit des sauberen Gastes verständigt. Dieser aber wartete die Rückkunft derselben nicht ab, sondern flüchtete unter Zurücklassung seiner Stiefel durch das Stallfenster in der Richtung gegen Sommerein zu. Die allarmirten Bauern des Ortes folgten dem Mörder zu Pferde, und da sich ihnen die Bauern von Sommerein und Wilfleinsdorf, ebenfalls zu Pferde und bewaffnet, angeschlossen hatten, wurde bald ein weiter Kreis von Verfolgern gezogen, aus dessen Mitte er nicht entrinnen konnte. Wie ein gehetztes Wild floh derselbe über Felder und Auen, die Häscher ihm immer nach, ihm stets auf der Spur bleibend, die er in dem aufgeweichten Boden mit seinen nackten Füßen selbst hinterließ. Bis 11 Uhr Vormittags dauerte die Jagd, da verließen den Mörder die Kräfte, und er sprang in ein Gebüsch auf dem Hotter des Königshofes bei Wifleinsdorf. Franz Seidenspinner, der Sohn des Schaffners vom Königshofe, legte mit seinem Gewehre auf das Gebüsch an, da sprang Dinghof hervor und bat flehentlich, auf ihn nicht zu schießen, er ergebe sich. Man vergewisserte sich nun des Mörders und übergab ihn den Panduren, welche ihn fesselten und nach dem Königshofe brachten. Nur mit Noth konnten Letztere die aufgeregte Menge von der Ausführung ihrer Lynchgelüste abhalten. Später wurde der Mörder nach dem Gefängnisse Neusiedel am See transportiert. Johann Dinghof ist 27 Jahre alt, Steinmetzgehilfe, Sohn armer Eltern aus Kaisersteinbruch, welche theils von Gemeinde-Almosen, theils von spärlicher Taglöhnerarbeit lebten. Der Mörder selbst war in der Gegend als Holzdieb und Wildschütze gefürchtet. Zu Beginn der Siebziger-Jahre war er zum Militär assentirt, mit Rücksicht auf seine kranken Eltern jedoch bald vom Militärdienste entlassen worden. Daß das Verbrechen schon lange geplant war, erhellt aus dem Umstände, daß Dinghof, entgegen seinen früheren Gewohnheiten, bereits fünf Samstage hindurch in den Abendstunden in jenes Wirthshaus im Walde kam, aber jedesmal einzelne Gäste vorfand, weßhalb er sein Vorhaben verschieben mußte. Viel Geld hätte er übrigens als Beute nicht vorgefunden, denn es war nur eine Baarschaft von 10 Gulden im Hause. Die Eltern des Mörders haben es angesichts der allgemeinen Aufregung für zweckmäßiger gehalten, Kaisersteinbruch in aller Stille zu verlassen. Der Mörder, obgleich ungarischer Staatsbürger und auf ungarischen Boden ergriffen, wird an das Wiener Landesgericht ausgeliefert werden, da er die That auf österreichischem Boden vollführt hat.“

Später übernahm Georg Stinauer, Jahrgang 1864, die Gastwirtschaft in der Hinterbrühl. Um 1900 erfreute sich das Waldgasthaus bereits so großer Beliebtheit, dass mehrere Ansichtskartenmotive im Umlauf waren.

Nach dem Ersten Weltkrieg terrorisierten ungarische Freischärler die Grenzregion und versuchten die im Vertrag von Trianon vereinbarte Übergabe Deutsch-Westungarns an Österreich zu verhindern. Der Brucker Bezirksbote berichtete am 16. Oktober 1921 über die Ereignisse: „[Die Freischärler] kamen auch in das im Sommereiner Gebiete liegende Wirtshaus [...] ließen sich bewirten, verlangten eine große Geldsumme und nachdem der Gastgeber ihren Wunsch nicht erfüllen konnte, schleppten sie Wein, Schmalz, etc. über die Grenze. Herr Stinauer suchte Hilfe in Sommerein. Die Gendarmerie rückte mit einem Maschinengewehr aus und vertrieb die Bande.“

Nach Stinauers Tod 1923 führte Theodor Seitz die Gastwirtschaft weiter. Im Zuge der Erweiterung des Brucker Truppenübungsplatzes durch das NS-Regime wurde die Bevölkerung Kaisersteinbruchs zwangsweise abgesiedelt. Auch das Gasthaus im Wald des Leithagebirges musste geräumt werden. Wenige Tage vor dem geplanten Verkauf der Liegenschaft an die Deutsche Ansiedlungsgesellschaft fiel der Wirt im Sommer 1941 einem Raubmord zum Opfer. Theodor Seitz starb an den Folgen eines Bauchschusses, den ihm die auf frischer Tat ertappten Einbrecher zugefügt hatten. Das NS-Sondergericht Wien verhängte über den neunzehnjährigen Josef Richter und den erst sechzehnjährigen Alois Tretter, die im NS-Jargon als „gefährliche Gewohnheitsverbrecher und Volksschädlinge“ betitelt wurden, das Todesurteil, da ihnen auch weitere Einbruchsdiebstähle im Bezirk zur Last gelegt wurden.

Nach dem Wegzug der Witwe Seitz’ bewohnte ein Forstorgan der Deutschen Wehrmacht das Gasthaus, bis dieses nach Kriegsende 1947 der Spitzhacke zum Opfer fiel. Die Bruchsteine des Gasthausgebäudes wurden für die Umfriedungsmauer des Lagerfriedhofs verwendet. Im Bereich des einstigen Gasthauses ist heute nur noch die betonierte Stiege sichtbar, die einst zur Kegelbahn hinab führte. Gegenüber befinden sich die Reste eines halb eingestürzten Eiskellers, in dem in den letzten Jahren eine kleine Kapelle eingerichtet wurde.

 

Das Leithagebirge war durch seine Grenzlage stets auch ein Tummelplatz für Schmuggler und Wilderer. Die kaum sichtbare und leicht überwindbare Grenze zwischen Sommerein und Kaisersteinbruch dürfte in besonderem Maße allerlei zwielichtigen Gestalten angelockt haben. Nicht weit von der Stelle des einstigen Waldgasthauses in der Hinterbrühl entfernt gelangt der Wanderer in den Augustinerwald, dessen Name auf eine mittelalterliche Stiftung an das Brucker Augustinerkloster, der sog. „Burg“ in der Hainburger Straße, zurückgeht. In diesem Waldflecken erinnern moosbedeckte Gedenksteine an das tragische Schicksal zweier Förster: Johann Mayer, der 1881 in Gutenbrunn bei Pöggstall das Licht der Welt erblickt hatte, war einige Jahre als Revierjäger in Sommerein ansässig, wo er mit seiner Gattin Anna und Sohn Richard das Sommereiner Försterhaus bewohnte, das sich einst am mittlerweile renaturierten Mühlteich in der Badgasse befand. Als Mayer am Morgen des 23. Dezember 1918 nicht von seinem Rundgang zurückkehrte, machten sich Freunde im verschneiten Forst auf die Suche. Sie fanden den Revierjäger leblos an einem Baum lehnend auf, wo er Wilderern zum Opfer gefallen war. Drei in feldgraue Soldatenmäntel gehüllte Gestalten waren in unmittelbarer Nähe des Tatortes gesehen worden, doch die Ermittlungen der Gendarmerie liefen ins Leere. Nur wenige Jahre später wurde der Augustinerwald erneut zum Schauplatz einer Bluttat. Forstpraktikant Alfred Fink, 1915 im nordböhmischen Neuhammer/ Nové Hamry geboren, wurde am 2. November 1931 unweit des Mayer-Gedenksteines an einer Wegbiegung mit einem tödlichen Kopfschuss aufgefunden. Zunächst vermutete man, der 16-jährige habe sich aus unglücklicher Liebe das Leben genommen – auch das Sommereiner Totenbuch verzeichnete Selbstmord als fragliche Todesursache. Doch bald darauf verdichtete sich der Verdacht, dass auch Alfred Fink, von einem Wilderer auf frischer Tat ertappt, seine Pflichterfüllung mit dem Leben bezahlt hatte. 

Foto 1: Das Waldgasthaus in der Hinterbrühl bei Kaisersteinbruch (Archiv MUK Kaisersteinbruch/Ava Pelnöcker)

Foto 2: Um 1900 war das Gasthaus gut besucht (Archiv MUK Kaisersteinbruch/Ava Pelnöcker)

Foto 3: Die trügerische Idylle auf der Waldlichtung (Archiv MUK Kaisersteinbruch/Ava Pelnöcker)

Foto 4: Das Anwesen bestand aus mehreren kleinen Gebäuden (Archiv MUK Kaisersteinbruch/Ava Pelnöcker)

Foto 5: Das Gasthaus im Jahr 1925 (Chronik der Naturfreunde Mannersdorf)

Foto 6: Die Mannersdorfer Naturfreunde 1925 bei einem Ausflug zum Waldgasthaus (Chronik der Naturfreunde Mannersdorf)

Foto 7: Sterbebucheintrag zum gewaltsamen Tod von Johann Mayer (Matricula, Pfarre Sommerein, Sterbebuch 1900-1938)

Foto 8: Gedenkstein für Johann Mayer im Augustinerwald (MUK Kaisersteinbruch)

Foto 9: Sterbebucheintrag für Alfred Fink mit noch fraglicher Todesursache (Matricula, Pfarre Sommerein, Sterbebuch 1900-1938)

Foto 10: Gedenkstein für Alfred Fink im Augustinerwald (MUK Kaisersteinbruch)