Online-Gschichtl Nr. 116

Der 1. Mai und Franz Jonas in Wasenbruck

Passend zum 1. Mai erzählt uns Johann Amsis von den Feierlichkeiten anno dazumal und von einem besonderen Besuch von Franz Jonas in Wasenbruck.

 

Wasenbruck war in den Jahren meiner Jugend eine richtige SPÖ-Hochburg. Die meisten Leute arbeiteten in der Fabrik von Hutter und Schrantz, einige im Konsum oder beim Fleischer. Es gab auch Handwerker oder die Pächter des Wirtshauses. Was wir als Arbeitersiedlung allerdings nie hatten, war ein eigener Landwirt. Die SPÖ und die Gewerkschaften haben ab den 1950er-Jahren viel für die arbeitende Bevölkerung erreicht, wie etwa Arbeitszeitverkürzungen, einen längeren Jahresurlaub, verschiedene Beihilfen und gute Lohnsteigerungen. Diese Erfolge für die Arbeiter*innen sorgten natürlich auch in Wasenbruck für jede Menge Zuspruch. Von gut 400 Wahlberechtigten im Ort entfielen in den 1970er-Jahren etwa 370 Stimmen auf die SPÖ, 20 Stimmen bekam die ÖVP und nur drei Stimmen erhielt die KPÖ. Entsprechend gut organisiert war die Sozialdemokratie in Wasenbruck, von den Kinderfreuden bis zum Pensionistenverband waren alle Alters- und Interessensgruppen mit Ortsorganisationen vertreten.

Den Jahreshöhepunkt für die Wasenbrucker Sozialdemokratie bildeten stets die Feiern zum 1. Mai. Der Tag hatte seinen Ursprung in den Maitagen des Jahres 1886, als in Chicago Arbeiter*innen für die Einführung des Achtstundentages protestierten. Diese Manifestation von legitimen Interessen endete mit einer blutigen Polizeiaktion samt Toten und Verletzten – die Geschehnisse gingen als „Haymarket Riot“ in die Geschichte ein. In Erinnerung daran wurde der 1. Mai im Jahr 1888 vom Gewerkschaftsverband „American Federation of Labor“ zum „Kampftag“ auserkoren. Seit 1890 fanden auch in Wien Maikundgebungen statt, in der Ersten Republik wurde der 1. Mai dann zu einem Feiertag. Die Ständestaatdiktatur wählte den Tag bewusst um 1934 ihre antidemokratische „Maiverfassung“ einzuführen und auch die Nationalsozialisten versuchten den Maifeiertag für sich zu vereinnahmen. In der Zweiten Republik wurde der 1. Mai wieder zu einem gesamtstaatlichen Feiertag.

Wenn also der 1. Mai in Wasenbruck näher rückte, wurden an den Heimabenden rote Nelken aus Krepppapier für den Verkauf bei den Maiveranstaltungen gebastelt. Mir war immer das „Grünwickeln“ der Nelkenstängel am liebsten, da dadurch die volle Farbenpracht der Nelke zu Geltung kam. Am Nachmittag des 30. April sind wir mit unserer Oma in die Au gegangen, um einen frischen Hartriegelast zu besorgen, den wir mit rotem und weißem Krepppapier aufputzten. Diese Maibuschen waren für die kleineren Kinder bestimmt, die etwas größeren Kinder bekamen einen roten Lampion mit einer Wachskerze, die dann beim Fackelzug entzündet wurde. Die „ganz großen“ Kinder bekamen eine Fackel und die stärksten Jugendlichen durften ehrfurchtsvoll die schweren Parteifahnen tragen. Auch die Kinderfahrräder wurden für den Aufmarsch entsprechend geschmückt.

Die Maikundgebung fand damals vor dem Konsum statt, da hatten die Redner mit den Eingangsstiegen ein perfektes Podium. Wasenbruck hatte damals mitsamt den Kindern ca. 600-700 Einwohner, von denen die Mehrheit beim Maibaumaufstellen anwesend war. Bei der heutigen Bushaltestelle nahm die Wasenbrucker Blasmusik, Pschiwi-(Pribil)Kapelle, Aufstellung und spielte einige Märsche, bevor der Baum aufgestellt wurde und die Ansprachen losgingen. Nachdem sich unsere Blasmusikkapelle aufgelöst hatte, hat der Wasenbrucker Franz Krenn mit der Hofer Blasmusik, deren Kapellmeister er damals war, die musikalische Umrahmung übernommen. Die Kinderfreunde-Kinder sind durchs Publikum gegangen und haben die selbstgebastelten Nelken, Maiabzeichen, Lampions und Fackeln verkauft.

Der Maibaum wurde, wie auch heute noch, von Hand aufgestellt. Damals noch von der Betriebsfeuerwehr der Hutter und Schrantz, nach Schließung der Fabrik übernahmen die Wasenbrucker Hobbysportler diese Aufgabe. Auf den Stufen des Konsums wurden nun die Festreden gehalten, Ortsparteiobmann Richard Tatzber sen., später dann dessen gleichnamiger Sohn und der Mannersdorfer Bürgermeister ergriffen das Wort. Dann sprach immer ein auswärtiger Redner, meist ein Landtagsabgeordneter oder ein Minister. Helga Thiel konnte sich noch an Dr. Otto Tschadek erinnern, wo das Publikum respektvollen Abstand hielt, da dieser so eine feuchte Aussprache hatte.

Als die ganzen, aus Kindersicht langatmigen Reden „endlich“ vorbei waren, die Blasmusik noch einen Marsch spielte, wurde die Geduld der Kinder belohnt, endlich wurden die Lampions und Fackeln entzündet. Die Gendarmarie hatte die Straßen abgesperrt, die Kinder mit den aufgeputzten Dreirädern, den Maibuschen, den Lampions und Fackeln wurden in Aufstellung gebracht. Die armen Träger mit den schweren Fahnen standen an der Spitze des Zuges und langsam setzte sich der Zug durch den Ort in Bewegung. Die Musik spielte einen Marsch und alle marschierten im Takt, als die Musik eine Pause einlegte, hörte man plötzlich Rosa Hochwartner mit ihrer kräftigen Stimme rufen: „Ein Lied!“. Sie begann dann lauthals zu singen: „Wir sind jung, die Welt ist offen, o, du schöne, weite Welt!“ und der Festzug stimmte mit ein in das 1914 komponierte Wander- und Arbeiterlied.

Nach dem Fackelzug ging es noch ins Wirtshaus auf ein Getränk und dann schnell nach Hause, denn am 1. Mai um 7 Uhr in der Früh war der Weckruf. Da wurde nochmals durch den Ort marschiert, um anschließend zum Frühschoppen ins Wirtshaus überzuleiten. Da beim Maibaum immer eine Stange Wurst und eine Flasche Wein mitaufgehängt wurden, hoffte man natürlich, dass sich wer traute, auf den Baum zu klettern, um die Wurst und den Wein herunterzuholen. Beim Frühschoppen im Wirtshaus wurde daher herumgefeixt und provoziert, besonders von dem, der in der Nacht den Stamm des Maibaumes mit Schmierseife bearbeitet hatte. Es fanden sich dann doch Mutige, die ihr Glück versuchten. Das war schon so eine Sache, denn die Maibäume waren damals schon sehr hoch und reichten bis zur Traufe des Wirtsgebäudes. Durch das Schälen war der Stamm zusätzlich rutschig geworden. Ich glaube Günther Schatzer und wenige andere haben es das eine oder andere Mal geschafft, Wurst und Wein zu erreichen.

Anfang der 1980er-Jahre hatten uns die Burschen aus den Nachbarorten geärgert. Trotz Ummantelung mit Baueisen gelang es ihnen in der Nacht, schon mehrere Jahre hindurch, den Baum mit einer Motorsäge zu kappen, ohne dass sie je erwischt wurden. Der Maibaum wurde damals beim vorderen Eingang vom Kinderheim aufgestellt. Der Hobbysportverein hatte sich daher entschlossen, den Baum zu bewachen und im Heim zu übernachten. Falls die auswärtigen Burschen kommen und den Baum abschneiden wollten, sollten sie eine ordentliche Abreibung verpasst bekommen. Gesagt getan, es wurde feuchtfröhlich Wache gehalten, die Müdigkeit tat ihr übriges und es ist langsam ruhig geworden. Peter Thiel hat gewusst, dass die Sportler im Heim nächtigen und mutmaßlich Wache halten. Also hat er in der Nacht seinen Firmenwagen, eine Hanomag-Pritsche, genommen, seinen Rasenmäher aufgeladen und ist hinten herum zum Heim gefahren. Er ist dann auf das Plateau der Protsche geklettert und hat den Rasenmäher gestartet. Die Hobbysportler haben das natürlich gehört und gedacht, die Burschen sind schon wieder da, um den Baum zu schlägern. Xandl Kolleritsch hat noch schlaftrunken das Fenster aufgerissen und ist durch selbiges rausgesprungen, um die vermeintlichen Übeltäter zu fassen. In der Eile hat er auch gleich fluchend und polternd den Fensterstock mitgerissen. Was soll ich noch dazu sagen, Peter Thiel hat die Aktion überlebt.

 

Als SPÖ-Hochburg erlebte Wasenbruck 1965 ein besonderes Ereignis, das die Maifeiern noch überflügeln sollte. Am 28 Februar des Jahres war Bundespräsident Adolf Schärf (SPÖ) unerwartet verstorben, daraufhin wurde der Wiener Bürgermeister Franz Jonas als Kandidat der SPÖ für Schärfs Nachfolge nominiert. Auf seinen zahlreichen Wahlkampfveranstaltungen sollte Jonas auch nach Mannersdorf kommen, Wasenbruck als vermeintliches „Anhängsel“ war dabei nicht eingeplant worden. Das führte zu Unmut unter den Wasenbruckern, die sozialdemokratisch geprägte Arbeitersiedlung konnte nicht so einfach übergangen werden. Da man wusste, wo Jonas‘ nächste Wahlkampfveranstaltung nach Mannersdorf sein würde und man erahnen konnte, dass er am Weg durch Wasenbruck fahren musste, heckten die umtriebigen Wasenbrucker einen Plan aus. Sie beschlossen, die Straße in Wasenbruck abzusperren, dadurch den Wagen von Jonas aufzuhalten und ihm zu einer Rede zu bewegen. Gesagt getan, es wurde organisiert, dass die Arbeiter in der Fabrik für die Veranstaltung frei bekamen, die Schul- und Kindergartenkinder gesellten sich ebenfalls dazu, um den zukünftigen Bundespräsidenten, wie man hoffte, zu empfangen. Fast alle Wasenbrucker standen vor dem Wirtshaus, als der Wahlkampftross mit Franz Jonas von Mannersdorf in den Ort einfuhr. Die Leute gingen auf die Straße und versperrten diese, sodass kein Durchkommen der Fahrzeuge mehr möglich war. Ich denke, dass Jonas freudig überrascht war, dass sich in so einem kleinen Ort so viele Unterstützer eingefunden hatten. Spontan hatte er sich entschlossen eine Rede zu halten und die Wasenbrucker waren glücklich, einmal einen Bundespräsidentschaftskandidaten persönlich erleben zu können – Franz Jonas hat die Wahl dann bekanntlich tatsächlich gewonnen.


Foto 1: Kundgebung in Wasenbruck, 1976 (Wasenbrucker Heimatseite/Sammlung Theobald Grohotolski)

Foto 2: "Fahnenmeer", 1975 (Wasenbrucker Heimatseite/Sammlung Theobald Grohotolski)

Foto 3: Wasenbrucker Kinder mit ihren geschmückten Fahrrädern, 1976 (Wasenbrucker Heimatseite/Sammlung Theobald Grohotolski)

Foto 4: Bundespräsidentschaftskandidat Franz Jonas mit Otto Rösch (damals Staatssekretär) in Wasenbruck, 1965 (Wasenbrucker Heimatseite)

Foto 5: Volksfeststimmung bei der Ankunft von Franz Jonas, 1965 (Johann Amsis)

Foto 6: Franz Jonas umringt vom Wasenbrucker Publikum, 1965 (Wasenbrucker Heimatseite)