Online-Gschichtl Nr. 65

Der letzte Weg der Wasenbrucker

Vor einigen Monaten hat Michael Schiebinger über die Bestattungsorte von Mannersdorf berichtet. Passend zu Allerheiligen und Allerseelen soll diesmal ein Blick auf den „letzten Weg“ der Wasenbrucker geworfen werden. Diese zweiteilige Reise in die Vergangenheit, rund um die lokale Begräbniskultur von Wasenbruck, fußt auf den Erzählungen von Johann Amsis.

 

Früher war es so, dass die meisten Einwohner des Ortes in Wasenbruck selbst geboren wurden, hier aufwuchsen, zur Schule gingen, hier arbeiteten und auch ihren Lebensabend im Ort verbrachten. Auch so manch Zugewanderter konnte sich rasch integrieren. Und den Ort musste man nur selten verlassen, sodass sich das fast das ganze Leben in Wasenbruck abspielte. In der Fabrik hat man gemeinsam gearbeitet und in der Freizeit ging man gemeinsam den Vereinstätigkeiten nach. Diese Umstände sorgten in Wasenbruck für ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl und für einen familiären Umgang miteinander. Und so wurde auch das Sterben und der Tod sowie das Abschiednehmen Teil der gemeinsamen Ortsidentität. In Wasenbruck führten verschiedene Umstände zu einer eigenständigen Begräbniskultur, die sich in Bereichen von jener der viel älteren Nachbarorte unterschied.

Wasenbruck war ja zunächst zur Pfarre Pischelsdorf gehörig, so besaß der Ort weder eine eigene Kirche noch einen eigenen Friedhof. Zum Gottesdienst musste man den beschwerlichen Fußweg nach Pischelsdorf in Kauf nehmen und auch die Toten aus Wasenbruck fanden ihre letzte Ruhestätte am Pischelsdorfer Friedhof. Einzig während des Zweiten Weltkrieges befand sich am Rand der Au ein Notfriedhof mit zwei oder drei Gräbern. Die Arbeiterschaft von Wasenbruck stand der katholischen Kirche jedoch nie besonders nahe, der Pfarrer von Pischelsdorf sprach von den Wasenbruckern als „Arbeitergesindl“ und ließ sich verschiedene Schikanen einfallen. Während der NS-Zeit traten viele aus der katholischen Kirche aus, andere waren bereits im Ständestaat zur evangelischen Kirche konvertiert. Als in den späten 1950er-Jahren von der Pfarre Pischelsdorf aus in Wasenbruck eine Filialkirche errichtet wurde, trug dies keineswegs zur Änderung der Lage bei, zu tief waren die Gräben der Vergangenheit. Die Arbeiterschaft wollte mit der Amtskirche möglichst nichts zu tun haben und man suchte nach Alternativen zu den kirchlich geprägten Feiern – auch der Abschied von den Verstorbenen erfolgte dadurch in Wasenbruck in anderer Weise.

Wenn in unserer Gegend jemand verstarb, so wurde man bis in die 1960/70er-Jahre hinein zu Hause aufgebahrt. Zwar bestand in Mannersdorf seit 1949 eine Aufbahrungshalle, doch wurde diese anfänglich nicht oft genutzt, erst das Verbot der Hausaufbahrungen brachte hier eine Änderung. In Wasenbruck waren die Wohnungen sehr bescheiden, daher fehlte es oft an Möglichkeiten zur Hausaufbahrung. Daher wurde wohl um 1950 ein Totenhäuschen nahe der Leithabrücke errichtet, um das Abschiednehmen im Ort zu ermöglichen. Wie Johann Amsis erzählt, verbindet er mit dem Totenhäuschen nicht die besten Kindheitserinnerungen, denn die Verstorbenen wurden damals noch im offenen Sarg aufgebahrt. Das Innere des Totenhäuschens war spartanisch eingerichtet, neben einer schummrigen Glühbirne sorgen wenigstens die Kerzen und die Blumen für etwas Feierlichkeit. Zu den Totenwachen nahm man damals auch die Kinder mit. Bei Finsternis und der noch schlechten Straßenbeleuchtung am Weg zum abseits gelegenen Totenhäuschen wurde da die kindliche Fantasie sehr ausgereizt. Heute besteht das Totenhäuschen noch, wird aber nicht mehr genutzt und auch das Kreuz auf dem Dach ist vor einiger Zeit abgenommen worden.

Bestattungsunternehmen, wie wir sie heute kennen, gab es früher nur in den Städten, auf dem Land wurde das Gewerbe meist zusätzlich von den Tischlern ausgeübt. Letztere lieferten damals noch die Särge als Maßanfertigung, die Versorgung der Toten und die Totenwache wurde von der Familie, besonders von den Frauen, übernommen. Erst später wurde dann das Bestattungsunternehmen Neugebauer aus Bruck auch bei uns tätig. In Wasenbruck wurden die Kränze und Buketts von der Konsum-Filiale besorgt. Auf dem letzten Weg von Wasenbruck auf den Pischelsdorfer Friedhof wurden die Verstorbenen zunächst mit einem Pferdegespann überführt – das Gefährt war noch lange in der Klimkemühle abgestellt. Die Mannersdorfer hatten damals noch keinen eigenen Wagen, daher wurde jener aus Wasenbruck ausgeliehen, wenn ein Verstorbener von auswärts heimzuholen war. Erst später wurde ein „Leichenauto“, wie man früher sagte, angeschafft.

Das Begräbnis selbst begann beim Totenhäuschen, allerdings meist ohne kirchliche Beteiligung. Schon damals setzte man in Wasenbruck auf einen Trauerredner, der mit ergreifenden Worten den Abschied feierlich gestalten sollte. Große Trauerfeiern von prominenten Verstorbenen wurden auch im Theatersaal abgehalten. Für die musikalische Umrahmung der Verabschiedung sorgte die Wasenbrucker Blasmusik, unter deren Klängen der Sarg mitsamt den Kränzen und Buketts auf den Wagen geladen wurde – der Kondukt formierte sich. Nach dem Bau der Filialkirche wollten manche Familien auch eine Begräbnismesse für ihre Verstorbenen, so machte der Trauerzug an der Kirche halt, die meisten Teilnehmer blieben aber vor der Kirche. Auch in Mannersdorf war es lange üblich, dass bei Begräbnisgottesdiensten die „kirchenfernen“ Teilnehmer, einem politischen Statement gleich, vor der Pfarrkirche warteten. Mit oder ohne „kirchlichem Zwischenhalt“ zog der Kondukt in Wasenbruck stets bis zur Fabrik, dort löste sich der Trauerzug vorerst auf. Der Verstorbene wurde mit dem Pferdewagen über die Müllerstraße nach Pischelsdorf gefahren, während die Trauergäste zu Fuß durch die Au zum Friedhof eilten. Erst nach der Umstellung auf das „Leichenauto“ wurde für die letzte Fahrt die Landesstraße benützt. Andere Trauergäste, denen der Weg zu beschwerlich war oder die nicht mitgehen wollten, suchten ihren Trost im Wasenbrucker Gasthaus. Am Friedhof von Pischelsdorf angelangt, nahm der Kondukt wieder Aufstellung und zog zur Grabstelle. Dort folgte eine Trauerrede und unter den Klängen der Blasmusik wurde der Sarg hinabgelassen. Beim „Banawirt“, dem Gasthaus Oberer, wurde noch ein „Leichenschmaus“ gehalten und die Trauer mit Wein und Gulasch gemildert. Irgendwann erreichte dann der Alkoholspiegel, die Rührung und auch die Trauer einen Punkt, wo einer zur Musik sagte: „Geh spüt‘s in Oiden Kameraden nau amoi“. Nach einigen weiteren Glaserl Wein war auch die Musik so gerührt, dass sie noch einmal die Instrumente auspackte und den „Alten Kameraden“ abermals aufspielte. Mit diesem einem Stück war es aber nicht getan, ein weiteres und noch ein weiteres Stück wurde von den Gästen verlangt. Als die Trauermärsche dann schon wiederholt wurden, weil es gar nicht so viele zur Auswahl gab, kam man immer besser in Schwung. Auch der Alkohol half kräftig mit, nach zwei Stunden hatten die Trauernden ihren Schmerz überwunden und keiner, der das Lokal betrat, wäre auf die Idee gekommen, dass hier eigentlich ein Leichenschmaus stattfand. Erst der Heimweg zu Fuß durch die finstere Au öffneten so manchem wieder die Augen.

Abschließend weiß Johann Amsis noch eine heitere Anekdote zu berichten: Frau Ertl und Herr Graschopf saßen fast täglich im Wasenbrucker Gasthaus. Die 90-jährige Frau Ertl führte ihr hohes Alter auf den regelmäßigen Weißweinkonsum zurück. Herr Graschopf prophezeite ihr daher einmal: „Waunst du amoi stirbst, daun schitt i dir an Doppler Weißn ins Grob noche!“ Worauf die schlagfertige Frau Ertl entgegnete: „I stirb ned vor dir, wau i wü kan g‘wassertn Wein!“ Mit dem gewasserten Wein spielte sie dabei auf das hohe Grundwasser am Pischelsdorfer Friedhof an.


Foto 1: Begräbniskondukt auf der Wasenbrucker Hauptstraße (Archiv Johann Amsis)

Foto 2: Begräbniskondukt auf der Wasenbrucker Hauptstraße (Archiv Johann Amsis)

Foto 3: Begräbniskondukt formiert sich bei der Fabrik (Archiv Johann Amsis)

Foto 4: Begräbniskondukt auf den ersten Metern (Archiv Johann Amsis)

Foto 5: Abschied von Mathias Niessl  mit derWerksfeuerwehr, 1949 (Archiv Johann Amsis)

Foto 6: Ehem. Totenhäuschen von Wasenbruck (Michael Schiebinger)

Foto 7: Aufbahrung anno dazumal, nachgestellt im Stadtmuseum Traiskirchen (Michael Schiebinger)

Foto 8: "Bürgerliche" Trauerkutsche im Stadtmuseum Traiskrchen, das Wasenbrucker Modell war dagegen schlichter (Michael Schiebinger)